“Ich, Joschka Fischer”, damit hat am Montag der Spiegel aufgemacht. Sowas weckt Assoziationen, beispielsweise zu “Ich, Claudius (- Kaiser und Gott)”, 1934 vom britischen Schriftsteller Robert Graves, verfilmt 1977 mit Derek Jacobi in der Hauptrolle.
Ein Alphatier nennt der Spiegel den anfänglichen Turnschuh- und späteren Außenminister. – Das ist eine von ehrfurchtsvollen Schreibern gerne verwendete Bezeichnung.
Wenn man nach dem geht, was man im Web so vorfindet, dann sind die bekanntesten Exemplare dieser Spezies: William (Bill) Henry Gates III und Lawrence J.(Larry) Ellison (Computerworld), Steven Jobs (Mac-User-Forum), Ulrich Schumacher, Ex-Infineon-Chef (Financial Times Deutschland), Peter Hartz, Ex-VW-Personalvorstand (Welt-Online) und Gerhard Schröder, Ex-Bundeskanzler (allenthalben). Das neben dem Spiegel renommierteste Fachblatt für diese zoologische Disziplin, die Zeit, prognostiziert diese Woche gar: “Die Rückkehr der Alphatiere” und meint damit die beiden Ehemaligen Schröder und Fischer.
Das ist alles schon recht seltsam. Denn ansonsten sind Tiervergleiche hierzulande völlig tabu.
So müht sich etwa gerade ein etwas drolliger Münchner Oberbürgermeisterkandidat auf seiner Website seppi-schmid.de ein schiefes Bild zurechtzurücken, das er am Wochenende auf dem CSU-Parteitag verwendet hatte: Er bezeichnete die rot-grüne Rathausmehrheit in der Landeshauptstadt als “Laus in der Mähne des bayerischen Löwen”.
Dieser Seppi nun ist bestimmt kein Alphatier. Allein schon, weil die sich nicht mit so putzigen Namen rufen lassen. Und für seine ständigen rhetorischen Tapsigkeiten hätte er eher Mitleid verdient. Er erntete aber Empörung.
Bei einem sprachlich gewandten Menschen wäre das ja auch nachvollziehbar gewesen. Deswegen hat man es seinerzeit auch dem Franz-Joseph verübelt, dass der seine politischen Gegner mit Ungeziefer – Ratten und Schmeißfliegen – verglich. Der Mann wusste schließlich, was er sagte.
Aber der Seppi? Der tut sich doch mit der jüngeren deutsche Geschichte ebenso schwer wie mit der Zoologie. Doch, es ist schon schlimm. Aber es gibt halt hierzulande Leute, die einfach nicht wissen, dass sich – zumindest in der bundesdeutschen Politik – sprachliche Anleihen aus der Tierwelt verbieten.
Allerdings die widerwärtigste Eigenart des Viehs, nämlich aggressiv gegen seinesgleichen zu sein, was nötig ist, um ein Leitwolf oder -bulle zu werden, die gilt allgemein als ehrenvolles Attribut. Es ist denn auch kein einziger Fall bekannt, wo ein Macher dagegen protestiert hätte, als Alphatier bezeichnet zu werden.
Dabei ist in der Zoologie die Nützlichkeit der Alphatiere für’s Rudel eher gering. Und in der Soziologie verhält es sich genauso. Dort spricht man übrigens – wenn’s zugeht wie im Rudel – lieber von einem Team.
So war es etwa beileibe nicht Bill Gates, der den Grundstein für Microsofts Erfolg gelegt hat. Den größten Coup in der Konzerngeschichte landete vielmehr Paul Allen, der 1981 dem Programmierer Tim Paterson ein Betriebssystem Namens QDOS abkaufte. – Das Q stand dabei übrigens für “quick and dirty”.
Damit begann die Geschichte des Microsoft-Monopols. Bill Gates hat anschließend diese Stellung ausgenutzt, um Caldera, Netscape, Real Networks und etliche andere aus dem Markt zu drängen.
Und das Computer-Genie bei Apple war der andere Steve: Wozniak. Jobs reüssierte dann später vor allem mit Handys, mp3-Playern und –Downloads.
Oracle wiederum, die frühere RSI (Relational Software Incorporated) verdient in erster Linie mit relationalen Datenbanken Geld, die Edgar F. Codd erfunden hat. Damit kauft Larry Ellison Unternehmen auf und macht sich anlässlich dessen auch schon mal Gedanken darüber, wen er denn bevorzugt erschießen würde, einen widerspenstigen CEO oder dessen Hund. Man kann nicht gerade behaupten, dass solche doch eher archaische Überlegungen die Informationstechnologie massiv voranbringen würden.
Am konsequentesten die Gesetze des Rudels umzusetzen, hat schließlich Ulrich Schumacher versucht. Der wollte regelmäßig die Under-Performer aus dem Infineon-Team ausstoßen, also in der Logik eines Alphas: die Omegatiere. Als Unternehmenslenker allerdings war er nicht sehr erfolgreich. Und Infineon hat sich immer noch nicht von der Zeit erholt, als er Konzern-Chef war.
Ach ja. Vielleicht sollte man aber auch wirklich die Vergleiche aus der Zoologie völlig lassen. Man tut halt ansonsten auch dem Vieh unrecht.
Die vierbeinigen Alphatiere können schließlich nichts für ihr Verhalten. Die gehorchen ja nur ihrem Instinkt und haben keinen Verstand, der das korrigieren könnte.
Und sehr viel aussagekräftiger als zoologische Begriffe ist ja überhaupt auch die Sprache der Informationstechnik. Da kennt man keine Alphatiere, sondern nur Alphaversionen: So nennt man, was noch voller Bugs ist.
Aber nur noch ganz kurz: In der Bundesrepublik ist das mit den Alphatieren ja zum Teil doch sehr gut gelaufen: Zwei der bekanntesten aus der Politik sind abgewählt. Der von VW wurde verurteilt.
Und der aus der hiesigen Chip-Industrie ist außer Landes und versucht’s jetzt in der von China. Da kann er seine Selektionsmechanismen vielleicht leichter durchsetzen. – Möglicherweise ist Deutschland sogar schon bereit für eine Beta-Phase des dann zivilisierten Managements.
Nö, danach sieht’s denn doch noch nicht aus – war nur so ‘ne Idee.
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