Realtime Business Intelligence – Groschengrab oder Wundermittel?
Business Intelligence (BI) muss immer schneller werden. Das moderne Unternehmen braucht alle Informationen und Antworten bei Anfrage sofort. Doch kann sich der Aufbau von echtem Realtime BI als Kostenfalle erweisen.
Die Marktkonsolidierung in einigen Branchen, härterer Wettbewerb und Zwang zur Kostenoptimierung erfordern von Unternehmen Lösungen, die ihnen zum gewünschten Zeitpunkt immer relevante und aktuelle Informationen liefern. Eigentlich ist dies nur mit Realtime BI lösbar, das Anfragen jeder Art in Nahezu-Echtzeit beantworten kann. Doch erste Stimmen aus der Branche warnen vor übereiltem Engagement.
Es gilt als unangefochten, dass ein Unternehmen seine Finanzdaten auf dem Laufenden halten und schnell bereitstellen muss, um Compliance-Anforderungen zu genügen. Wer sich mehrere Monate für eine buchhalterische Aufstellung Zeit lässt, setzt sich dem Verdacht aus, etwas verbergen zu wollen, Zahlen zu manipulieren oder zumindest, seinen Laden nicht im Griff zu haben. Das ist die Warnung des Marktforschungsunternehmens Gartner Research, zuletzt geäußert am Rande der Kundenkonferenz des Daten-Management-Anbieters Teradata im Oktober in Las Vegas.
Abhilfe soll hier Realtime Business Intelligence schaffen. Doch Branchengrößen wie Colin White, Gründer und President von BI Research, einem auf den BI-Markt spezialisierten Marktforschungsunternehmen aus Ashland, Oregon, hält davon gar nichts. Auch der BI-Lösungskonzern SAS Institute, der in Deutschland seit Jahrzehnten mit einer großen Vertriebsabteilung etabliert ist, findet so manches Haar in dieser Suppe.
Zunächst einmal wies Colin White darauf hin, dass eine Begriffsverwirrung am Markt bestehe, nämlich zwischen Realtime BI und Operational BI. Er legte kürzlich dar, dass es für die meisten Unternehmen einesteils zu teuer und andernteils sogar überflüssig – wenn nicht gar schädlich – sei, Realtime BI zu implementieren und zu pflegen. Er gebe operationellen BI-Implementierungen, die auf die echten Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten sind, klar den Vorzug.
Der strategische BI-Anwender trägt Krawatte
Wie er sagte, sind drei Arten von BI möglich: strategisch, taktisch und operativ. Dabei werden die strategischen und taktischen Anwendungsmöglichkeiten ihm zufolge vorwiegend von Geschäftsnutzern verwendet, die mittel- und langfristige Zielvorgaben abstecken und mit Abfolgen von Geschäftsprozessen in Einklang bringen müssen. Die Senior-Manager-Ebene tummelt sich, White zufolge, in diesem Bereich. Sie nutzen die Lösungen beispielsweise, um Quartalsziele zu skizzieren oder Kampagnen zu verwalten.
Die operative Welt ist eine noch junge Entdeckung für die BI-Branche. Wie Claudia Imhoff, President und Gründerin des CRM-Beratungshauses Intelligent Solutions in einem Blog schrieb, ist BI erst kürzlich, aber dafür sehr tief in die operative Geschäftswelt eingedrungen. Die bisher getrennten Felder für Arbeitsabläufe und für die BI, die nur zu bestimmten Zwecken abgerufen wurde, sind passé. Ihrer Beobachtung nach werden die Geschäfte permanent mit BI-Tools durchpflügt, um mit möglichst wenig Latenz auf Veränderungen reagieren zu können. Veränderungen heißen in der IT schließlich immer, dass ein Ereignis die Aufmerksamkeit eines Verantwortlichen erfordert. In den meisten Fällen sind Veränderungen sogar Zeichen von Problemen – denn wenn der unmerkliche Normalbetrieb heißt, dass alles rund läuft, dann bedeutet jedes Zittern der IT-Maschine, dass etwas nicht stimmt.
Dabei ist das Ziel jeder operativen BI-Anwendung, die Zeit zu reduzieren, die Anwender, aber auch Geschäftsanwendungen benötigen, um auf ein konkretes Bedürfnis zu reagieren – sei es geschäftlicher oder technischer Art. Bevor diese ‘Aktionszeit’ gemessen werden kann, müssen all jene Geschäftsereignisse identifiziert werden, in denen noch Zeit versteckt ist, die eingespart werden muss. So ist es beispielsweise bei Kreditkartenbetrug notwendig, möglichst nahe an echtes Realtime heranzukommen. Andere Aufgaben erfordern regelmäßige Abfragen viel dringender, als besonders schnelle Ergebnisse. Nur die Analyse von Schadens- und Fehlerfällen aus der Vergangenheit kann hier helfen, die einzelnen Faktoren genauer zu identifizieren und ihnen die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie brauchen – nicht mehr und nicht weniger.
Ertrinken in der Datenflut – in Echtzeit
Jörg Petzhold, Program Manager Enterprise Intelligence Platform bei SAS Deutschland, kann sich den kritischen Stimmen zu überzogenen Realtime-Absichten im BI von Herzen anschließen. “Viele BI-Anbieter entfachen einen Marketing-Hype um dieses Thema, gehen damit aber an den Anforderungen der Kunden völlig vorbei”, sagte er gegenüber silicon.de. “Nur in Ausnahmefällen, etwa bei der Betrugserkennung, macht Realtime BI wirklich Sinn. Für die meisten Unternehmen ist es viel wichtiger, dass die richtigen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung stehen. Und dazu bedarf es vor allem einer performanten, verlässlichen Datenintegration, leistungsstarker Analytics- und Prognose-Instrumente sowie flexibler, bedarfsgerechter Reporting-Funktionalitäten.”