Microsoft und Linux – Interoperabilität oder Innovationssteuer
Neue Verträge mit den Distributoren Linspire und Xandros sind Microsofts jüngster Erfolg in der Strategie, geistiges Eigentum mit Open Source kompatibel zu machen. Ohne nennenswerte Verunsicherung jedoch operiert die Community weiter.
Microsoft gehe es dabei vor allem um das Wohl des Anwenders, der dann auf dem Rücken einer rechtssicheren gemeinsamen Lösung von mehr Interoperabilität profitiere. Zuckerbrot und Peitsche also.
Mit Strategie für mehr Interoperabilität verfolge Microsoft laut eigenen Angaben zwei Ziele. Zum einen sollen die Microsoft-Produkte mit denen anderer Hersteller besser zusammenarbeiten. Zum anderen will sich Microsoft in einer Welt, wo offene Software längst Realität geworden ist, eine “legale Struktur” schaffen, so Tom Robertson, General Manager für Interoperabilität und Standards bei Microsoft, und Jean Paoli, General Manager und Mitentwickler der XML Architektur, in einem gemeinsamen Interview mit News.com.
“Es ist eine Frage der Koexistenz im Markt”, erklärte Robertson. Microsoft müsse einen Weg finden, Fragen rund um geistiges Eigentum und um Interoperabilität zu klären. Kunden und Anwender wollten sich nicht mit solchen Fragen herumschlagen oder auch von möglichen Schadensersatzansprüchen bedroht fühlen müssen, betonte Robertson.
Anwender seien auch nicht geneigt, Zeit und Geld zu investieren, damit Produkte verschiedener Hersteller zusammenarbeiten können. Unter diesem Licht sei auch Microsofts Engagement für den Standard Office Open XML zu sehen. Man wolle für Anwender neben dem ISO-zertifizierten Standard Open Document Format (ODF) mehr Auswahlmöglichkeiten bieten.
Und doch ist es das Unternehmen Microsoft selbst, das die Furcht vor rechtlichen Problemen beim Einsatz von Open Source schürt. So erklärte Microsoft-Chefanwalt Brad Smith noch im Mai in einem Interview, dass das Unternehmen über 200 Patente entdecken konnte, die durch Open-Source-Software verletzt würden. So schürt das Unternehmen eine latente Angst vor rechtlichen Schritten beim Einsatz von Open Source. Ziel dieses Psychokrieges sind vor allem Anwender von Open-Source-Software.
Den ersten Schritt in Richtung ‘Interoperabilität’ hat Microsoft mit dem Abkommen mit Novell getan. Damals wurde ein gegenseitiger Nichtangriffspakt sowie ein Interoperabiltätsabkommen mit der Nummer zwei unter den Linux-Distributoren unterzeichnet.
In den vergangenen Tagen folgten Verträge mit dem Distributor Linspire, gegen den Microsoft bereits wegen Markenrechtsverletzungen durch den Produktnamen ‘Lindows’ vorgegangen ist. Aber auch Xandros hat inzwischen einen Kooperationsvertrag mit Microsoft unterzeichnet.
“Wir glauben an geistiges Eigentum und wir glauben auch, dass Innovation von geistigem Eigentum angetrieben wird”, ergänzte Paoli. Obwohl aber Microsoft sich auch mit Red Hat und Ubuntu über Abkommen unterhalten hat, holte sich Redmond hier ein Abfuhr. Red Hat sei nicht gewillt, eine “Steuer auf Innovation” zu entrichten, ließ der Distributor wissen.
In einem Blog erklärte Ubuntu-Gründer Marc Shuttleworth: “Wir haben es rundweg abgelehnt, mit Microsoft unter der Bedrohung unspezifizierter Patentverletzungen über irgendwelche Verträge zu sprechen”.
Open-Source-Entwickler und offenbar auch Anwender geben sich auf jeden Fall von “unspezifischen Patentverletzungen” bislang unbeeindruckt und scheinen auch andere Probleme zu haben. Zwar sei legale Unsicherheit ein Thema. “Aber wenn ich einen Anruf von einem Anwender bekomme, dann geht es nicht um rechtliche Fragen, sondern um Usability und welche Produkte interoperabel sind”, erklärte Dan Frye, Vice President Open Systems Development bei IBM, auf der Linux Foundation Collaboration Summit in San Francisco.
So warnt auch der Linux-Kernel-Entwickler Andrew Morton vor der Annahme, dass ein Linux-Entwickler bei Microsoft abschreiben könne, auch wenn Microsoft auf diesem Vorwurf beharre. “Ein plagiierter Code-Körper würde für Kernel-Entwickler und Code-Prüfer aus der Community wie ein eitriger Daumen herausstechen.”
Jeremy Allison, Chef-Entwickler des Samba-Projektes, erklärte: “Kein Entwickler, den ich kenne, liest Patentschriften oder denkt darüber nach.” Das sei auch nicht möglich, da es selbst für ihn manchmal schwer sei, mit der rasanten Entwicklung des Projektes Schritt zu halten. Auch der Linux-Kernel, also der Kern des Betriebssystems, wächst mit atemberaubender Geschwindigkeit. Jeden Tag, so heißt es von Seiten der Kernel-Entwickler, würden die Projektleiter an über 2800 Zeilen Code täglich arbeiten. Es scheint beinahe so, als wäre ‘geistiges Eigentum’ nicht der einzige Weg, um Innovation voranzubringen.