“Sie wollen das Internet ersetzen”
Tristan Nitot, President Mozilla Europe, ist überzeugt, dass Microsoft und Adobe mit Ankündigungen der Technologien AIR und Silverlight so etwas wie die Übernahme des Web im Sinn haben. Er sieht dadurch die bunte Artenvielfalt im Internet gefährdet.
Nitot: Wir setzen auf Erziehung. Wir wollen das Bewusstsein der Anwender auf eine langfristige Betrachtung lenken. Wir wollen, dass die Menschen wissen, dass sie ihre Freiheit aufgeben, und dass es auch wenn es im ersten Moment schwerer scheint, mit offenen Produkten zu arbeiten, im Endeffekt langfristig praktikabler ist. Es gibt von Seiten der Entwickler berechtigte Forderungen nach Funktionen, die das Web derzeit nicht bieten kann. Selbst Seiten wie Youtube nutzt Flash auf jeder Seite des Portals und das eigentlich nur deshalb, weil man damit Video machen kann. Derzeit ist Flash die einzige Möglichkeit, Video im Browser zu machen.
Wir sehen, dass sich HTML und das Web weiterentwickeln müssen, um mit den neuen Anforderungen Schritt halten zu können, die derzeit von proprietären Technologien wie Flash und Silverlight angeboten werden. Wir arbeiten derzeit an einem Browser, es ist nicht direkt Firefox, der auch Video mit einbindet, sodass sich hier auch Video mit Support für Ogg Theora realisieren lässt. Es gibt sogar Möglichkeiten, den IE damit kompatibel zu machen. Aber wir wollen nicht der einzige Browser sein, der das unterstützt. Das ganze muss offen sein. Daher arbeiten wir mit Gruppen wie der WHAT Working Group, eine Arbeitsgruppe des World Wide Web Consortiums (W3C).
Wir wollen zusammen mit Opera und Apple und anderen Gruppen die Evolution von HTML definieren. Ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie ist auch Ajax (Asynchronous JavaScript and XML). So wird hier beispielsweise XML Http Request verwendet. Eigentlich eine Erfindung von Microsoft. Mozilla und Safari haben das implementiert, indem sie ein Reverse-Engineering der Funktionalität gemacht haben. Aber es gibt bislang kein Stück Papier, auf dem steht, dass sich ein Browser, der XML Http Request nutzt, auf diese oder jene Weise verhalten soll. Von Microsoft gibt es dazu sozusagen nur ein Beispiel, wie sich ein Browser verhält, wenn er eine bestimmte Eingabe erhält.
silicon.de: Sie arbeiten also nicht direkt am Produkt oder an einer Erweiterung, sondern versuchen über Standards und Interoperabilität zu punkten?
Nitot: Wir versuchen derzeit, den Standard zu erweitern, wenn man so will. Sobald die Spezifikationen verabschiedet sind, werden wir sie in unser Produkt übernehmen.
silicon.de: Gibt es darüber hinaus auch weiterführende Pläne für den Firefox?
Nitot: Wir wollen Ende November die Version 3.0 des Firefox fertigstellen. Wie das Beispiel von Vista lehrt, ist es jedoch nicht so einfach, Software termingerecht fertigzustellen. Sollten also unerwartete Probleme auftauchen, dann werden wir das Release verschieben. Wir haben keinen Druck, eine neue Version auf den Markt zu bringen, daher ist uns eine gute Nutzererfahrung wichtiger als eine schnelle Veröffentlichung. Derzeit sind wir noch nicht in der Beta-Phase, die soll wohl Ende Juli starten.
silicon.de: Welche neuen Features wird es geben?
Nitot: ‘Places’ fällt mir da spontan ein. Im Grunde ist das eine Überarbeitung der Bookmark-Architektur und verbessert die Default-Einstellungen. Dann arbeiten wir an einer Verbesserung der Sicherheit. Eine bessere Detection für Malware und auch Anti-Phishing-Funktionen sollen hinzukommen. Daneben wird Firefox jede Menge Video-Funktionen bekommen und auch Verbesserungen der Grafik sind vorgesehen. Nicht zu vergessen, dass wir auch an der Performance des Browser feilen. Auch die Schnittstellen für Entwickler, die Erweiterungen programmieren wollen, sollen vereinfacht werden.
silicon.de: Sie bieten ein ‘Grundgerüst’ an, das sich jeder Nutzer nach seinen eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen über die ‘Extentions’ gestalten kann. Sind sie mit dieser Architektur glücklich?
Nitot: Oh, ja, sehr sogar. Zunächst erschien es uns irgendwie widersprüchlich, ein Produkt besser zu machen, indem man etwas weg nimmt. Aber Netscape war einfach mit Funktionen überfrachtet, die teilweise nur von 2000 Usern verwendet, vom Rest aber nicht wahrgenommen wurden. So können wir auch die Usability des Browsers testen. Wir schauen uns an, welche Extensions verwendet werden. Manche fließen dann auch in das Kernprodukt ein.
silicon.de: Wie sieht ihr Geschäftsmodell aus?
Nitot: Als wir angefangen haben, hatten wir keinerlei Business-Modell. Inzwischen vermarkten wir das Suchfenster, die oben rechts am Rand des Browsers zu finden ist, an Suchmaschinen. Im Geschäftsjahr 2005 haben wird damit 52,8 Millionen Dollar erwirtschaftet. Die Betreiber von Suchmaschinen bezahlen dafür, hier gelistet zu werden. Wir müssen natürlich darauf achten, dass die Liste nicht zu kurz, aber auch nicht zu lang wird.
silicon.de: Hat auch Google dafür bezahlt, in dem Fenster gelistet zu werden?
Nitot: Google ist ein sehr wichtiger Partner für uns.
silicon.de: Glauben sie, dass das Engagement Googles bei Mozilla Teil einer gegen Microsoft gerichteten Strategie ist?
Nitot: (lacht) Das müssen sie Google selbst fragen.