Bislang gab es weltweit nur eine Forschungsgruppe, die den Regeln und Besonderheiten der Softwareindustrie auf den Grund ging – das Massachusetts Institute of Technology (MIT). Diese Lücke in der Erforschung der Softwareindustrie war für Professor Peter Buxmann von der TU Darmstadt und Professor Thomas Hess von der LMU München jetzt Anlass, eine neue Forschungsgruppe zu gründen: Die Software Economics Group Darmstadt-München soll zukünftig die ökonomischen Prinzipien der Software-Industrie untersuchen. “Wir haben uns das Ziel gesetzt, den Dialog zwischen den Beteiligten anzuregen, um so als unabhängiger ‘Think Tank’ praxistaugliche Handlungsempfehlungen zu entwickeln”, so die beiden Wissenschaftler.
Kaum eine andere Industrie hat die Gesellschaft so nachhaltig verändert wie die Sofwareindustrie. Die Ware “Software” unterscheidet sich ökonomisch jedoch grundlegend von “klassischen” Industriegütern. Was aber sind die neuen Spielregeln der Softwareökonomie?
silicon.de: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Software Economics Group Darmstadt-München zu gründen?
Prof. Buxmann: Zum einen waren wir uns einig, dass es kaum eine spannendere Branche als die Softwareindustrie gibt. Software ist heutzutage weder aus der Unternehmenswelt noch aus dem Privatleben wegzudenken. Sie ist ähnlich wie Energie oder die Versorgung mit Rohstoffen zu einer Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften geworden. Zum anderen ist die Softwareindustrie aus ökonomischer Perspektive nahezu unerforscht. Das ist umso erstaunlicher, als es aufgrund der Besonderheiten und auch der Attraktivität der Branche zu erwarten wäre, dass es – ähnlich wie etwa für den Industrie- und Bankensektor, für Versicherungen oder für die Medien- und Energiewirtschaft – eine spezielle Betriebswirtschaftslehre oder Lehrstühle für die Softwareindustrie aus der Wirtschaftsinformatik heraus gibt. Dies ist bisher jedoch überraschenderweise nicht der Fall. Lediglich am MIT fanden wir eine Forschergruppe, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Diese Lücke war für uns ein Anlass, die Software Economics Group Darmstadt-München zu gründen. Manchmal hat man Glück und findet einen hochspannenden und weitgehend unerforschten Bereich.
silicon.de: Sie sagen, Software unterscheidet sich grundlegend von klassischen Industriegütern. Wie denn?
Prof. Hess: Eine wesentliche Eigenschaft besteht darin, dass es sich bei Software um ein digitales Gut handelt. Damit ist eine Reihe von Eigenschaften verbunden – etwa geringe Grenzkosten und damit verbunden eine Fixkostendegression. Dies hat entscheidenden Einfluss auf die von Software- und Serviceanbietern verfolgten Strategien und Geschäftsmodelle. Lassen Sie mich anhand eines kurzen Beispiels erklären, was aus diesen ökonomischen Eigenschaften folgt: So lässt sich formal zeigen, dass Preisbündelungsstrategien – also der Verkauf von verschiedenen Softwarekomponenten und Services als Einheit – umso vorteilhafter sind, je geringer die oben angesprochenen Grenzkosten sind. Bei der Analyse muss man jedoch genau hinsehen. Denn die Aussage der geringen variablen Kosten gilt strenggenommen nur für das Lizenzgeschäft von Standardsoftwareanbietern. Die zusätzlich verkauften Services und Wartungsverträge sind durchaus mit variablen Kosten für die Anbieter verbunden.
silicon.de: Ihrer Meinung nach gelten für die Softwarebranche besondere ökonomische Spielregeln. Können Sie ein, zwei Beispiele dafür nennen?
Prof. Buxmann: Die Softwareindustrie ist wie kaum eine andere Branche international aufgestellt. Software lässt sich global verteilt entwickeln und in Sekundenschnelle zu vernachlässigbaren Kosten über das Internet vertreiben. Daraus resultiert auch ein weltweiter Wettbewerb zwischen den Softwareanbietern – um Kunden, aber auch um Mitarbeiter. Dabei spielt der Heimvorteil auf den nationalen Märkten der Anbieter in vielen Segmenten nur noch eine untergeordnete Rolle. So beträgt beispielsweise der Exportanteil am Umsatz der beiden größten deutschen Softwareanbieter SAP AG und Software AG 80 bis 90 Prozent. Zudem führt der Netzeffektcharakter von Software dazu, dass es sich bei Softwaremärkten häufig um so genannte “Winner-takes-it-all”-Märkte handelt. Vor diesem Hintergrund lässt sich unter anderem erklären, dass es sich bei der Softwareindustrie um eine Branche handelt, in der es mit die meisten Unternehmensübernahmen gibt. Aktuelle Beispiele sind die Übernahme von Business Objects durch SAP.
silicon.de: Auf welche Themen konzentriert sich Ihre Forschung derzeit?
Prof. Hess: Die Software Economics Group Darmstadt München verfolgt das Ziel, eine Brücke zwischen Theorie und Praxis zu schlagen. Aktuell arbeiten wir gerade an den Themen Software as a Service, Offshoring der Softwareentwicklung, Einsatz serviceorientierter Architekturen sowie der Untersuchung von Einsatzmöglichkeiten von Open-Source-Software im ERP-Umfeld. Dabei betrachten wir die genannten Themengebiete stärker aus ökonomischer als auch technischer Perspektive.
silicon.de: Arbeiten Sie dabei mit Softwareunternehmen zusammen?
Prof. Buxmann: Ja, klar. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Wir arbeiten sowohl mit großen als auch mittelständischen Standard- und Individualsoftwareanbietern zusammen. Zukünftig wollen wir auch stärker mit Anwendungsunternehmen kooperieren, etwa zu Themen wie Softwarelizenzmanagement und der Untersuchung von Einsatzszenarien für Software-as-a-Service-Lösungen.
silicon.de: Welche Ergebnisse sind von der Software Economics Group zu erwarten?
Prof. Hess: In der Software Economics Group Darmstadt-München arbeiten wir modellbasiert und empirisch, etwa indem wir großzahlige empirische Untersuchungen durchführen. Auf dieser methodischen Basis sowie aufgrund der Eigenschaften des Gutes Software und von Softwaremärkten wollen wir Handlungsempfehlungen für Software- und Serviceanbieter entwickeln. Selbstverständlich wollen wir auch unsere Forschungsergebnisse veröffentlichen. So ist gerade im Springer Verlag unser Buch “Die Softwareindustrie: Ökonomische Perspektiven, Strategien, Perspektiven” über die Spielregeln der Softwarebranche erschienen.
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