Deutschland innovativer als USA

Vergangene Woche hat die EU-Kommission ihr ‘Innovation Scoreboard 2007’ veröffentlicht. Seit 2003 vergleicht sie mit diesem Instrument jährlich die Innovationskraft ihrer Mitgliedsstaaten und einiger weiterer Länder. Sie aggregiert zu diesem Zweck 25 Indikatoren, von Breitbandzugang bis zu Bildungserfolgen, zu einem einzigen Innovationsmaß. Das hat jetzt den Think Tank DB Research, der der Deutschen Bank nahesteht, zu einem Kommentar herausgefordert.

Demnach gibt es zwar auf den ersten Blick kaum Überraschungen. Wie schon im Vorjahr ist Schweden der Superstar. Eine Handvoll weiterer europäischer Länder sowie Israel schlagen die USA, auch Japan (6. Platz) und Deutschland (7.) gehören noch zu dieser Führungsgruppe. Auch die Kluft der Innovationsleistung zwischen Europas Stars und Nachzüglern ist nach wie vor breit. Viele der Nachzügler sind osteuropäische Länder, aber auch die Türkei, Portugal, Griechenland und Malta sind immer noch weit abgeschlagen in Sachen Innovation. Die USA haben sich demnach im Mittelfeld, das von Japan, Deutschland und den Vereinigten Staaten selbst bestritten wird, von Rang 1 auf Rang 3 verschlechtert und mussten Deutschland (jetzt Rang 2 des Mittelfelds) vorbeiziehen lassen. Insgesamt kommen die USA bei dieser EU-betonten Einschätzung auf Rang 8.

Spannender wird es, wenn man auf Basis der Ergebnisse der letzten fünf Jahre eine Zukunftsprojektion wagt. Auf diese Weise kommt die EU-Kommission zu interessanten – wenn auch aus gesamteuropäischer Sicht nicht durchweg ermutigenden – Ergebnissen: Die Innovationsleistung der europäischen Länder nähert sich einander an. Die meisten Länder der Führungsgruppe werden in den kommenden Jahren vermutlich mit Raten unterhalb des EU-Durchschnitts wachsen. Für die Mehrzahl der Nachzügler prognostiziert die Studie der EU-Kommission dagegen überdurchschnittliches Wachstum. Aber Deutschland liegt in der Führungsgruppe vergleichsweise gut im Rennen: Seine Innovationsleistung war zwar 2007 innerhalb dieser Gruppe nur Mittelmaß, wächst jedoch schneller als die der meisten anderen Ländern der Gruppe, so die Einschätzung von DB-Research-Analyst Jan Hofmann.

Ein Großteil der Nachzügler wird gemäß der Projektion der EU-Kommission jedoch 20 Jahre oder länger brauchen, um mit ihrer Innovationsleistung zum EU-Durchschnitt aufzuschließen. Nur die Tschechische Republik, Estland und Litauen könnten es schon in zehn Jahren schaffen. “Zugegeben, diese Schätzungen basieren auf einer simplen Extrapolation historischer Wachstumsraten”, schrieb er in seiner Einschätzung. “Sie vermitteln dennoch einen groben Eindruck des zu erwartenden Zeithorizonts für Konvergenz in diesem Bereich. Zudem hat die Kommission auch ein aufwändigeres Verfahren testen lassen. Nach dessen Ergebnissen bliebe für viele Nachzügler Konvergenz auch über mehrere Dekaden ein unrealistisches Szenario.”

Insgesamt sei dies jedoch ein ernüchternder Befund – will doch Europa in Kürze schon die dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsregion der Welt sein. Das hiermit verbundene Ziel der EU, bis 2010 immerhin 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben, ist bereits seit längerem kaum mehr erreichbar, so Hofmann. Für die Innovationsleistung wurden zwar keine konkreten Ziele ausgegeben, eine hohe Dynamik lassen die obigen Ergebnisse jedoch ebenfalls nicht erwarten.

Den Nachzüglern riet er, in “schlaue Köpfe, also gute Bildung und attraktive Universitäten” zu investieren. Oft übersehen werden jedoch Faktoren des weiteren sozio-ökonomischen Umfelds, des Nährbodens für Innovation. “Und tatsächlich ermittelt die EU-Kommission, dass aus diesem Kreis gerade zwei ‘weiche’ Einflussgrößen besonders innovationsfördernd sind: Zum einen hohes Vertrauen dem Nächsten gegenüber und der Eindruck niedriger Korruption im Land – manchmal auch als Bestandteile des Sozialkapitals eines Landes bezeichnet; zum anderen zählt die Offenheit der Unternehmen für Ideen Anderer und für Kooperation mit ihnen”, beschrieb er. Diese Offenheit zeigt sich demnach im Willen und der Fähigkeit, außerhalb des eigenen Unternehmens entwickelte Technologien in die eigenen Produkte und Prozesse zu integrieren. Und sie zeigt sich in der Intensität der Kooperation zwischen Unternehmen und Wissenschaft.

Hofmann fasste zusammen: “Ob Nachzügler oder Star, wer Innovation will, braucht Vertrauen und Offenheit. Keiner dieser beiden weichen Faktoren ist von heute auf morgen in einer Gesellschaft aufzubauen. Sie sind daher kaum als Ansatzpunkte für die schnelle Heilung einer Innovationsmalaise geeignet, sondern müssen langfristig – zuvorderst durch Erziehung und Bildung – entwickelt werden. Zumindest aus Sicht der Nachzügler, in der Mehrzahl knapp bei Kasse, haben sie aber einen unschlagbaren Vorteil: Kaufen kann man Vertrauen und Offenheit nicht.”

Silicon-Redaktion

Recent Posts

Blockaden und Risiken bei APM-Projekten vermeiden

Application Portfolio Management (APM) verspricht Transparenz, mehr IT-Leistung und Effizienz – theoretisch.

2 Tagen ago

BSI-Bericht: Sicherheitslage im Cyberraum bleibt angespannt

Im Berichtszeitraum Mitte 2023 bis Mitte 2024 wurden täglich durchschnittlich 309.000 neue Schadprogramm-Varianten bekannt.

2 Tagen ago

KI-Hype in der Cybersicherheit – oder besser doch nicht?

KI kommt in der Cybersicherheit zum Einsatz, etwa um Abweichungen im Netzwerkverkehr zu identifizieren. Ist…

3 Tagen ago

Netzwerksegementierung schützt vor Angriffen über die OT

Ungepatchte und veraltetete Maschinen-Software ist ein beliebtes Einfallstor für Hacker, warnt Nils Ullmann von Zscaler…

4 Tagen ago

KI-Bluff bei AIOps erkennen

Die Auswahl einer Lösung sollte anhand von echten Leistungsindikatoren erfolgen, um echte KI von Behauptungen…

4 Tagen ago

Klinikum Frankfurt an der Oder treibt Digitalisierung voran

Interdisziplinäres Lenkungsgremium mit Experten aus den Bereichen IT, Medizin, Pflege und Verwaltung sorgt für die…

5 Tagen ago