Schwabenlust
Hier im südwestlichsten der deutschen Länder haben die Menschen traditionell ein zeitweise eher distanziertes Verhältnis zur fleischlichen Begierde. Und das aus gutem Grund: So äbbes lengt oin bloß vom Schaffe ab. (Hochdeutsch: Derartiges würde die Aufmerksamkeit zu sehr auf außerdienstliche Belange lenken.)
Was hingegen sehr geschätzt wird, ist die kühle Arbeitsatmosphäre, die von Zahlen ausgeht. Seien es die technischer Datenblätter oder jene in Bilanzen, wobei letztere mindestens so schwarz wie die hiesige Landesregierung zu sein haben.
Gar nicht vorstellen mag man sich im prosperierendsten aller Bundesländer, wenn’s hierzulande auch zuginge wie sonstwo auf der Welt. Schon in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben schließlich die Forscher vom Kinsey-Institut in Indiana herausgefunden, dass ein Gutteil der US-amerikanischen Männer mehrmals täglich an Sex denkt. – Also sicherlich auch während der Arbeitszeit!
Und das Internet bringt diese Produktivitätsbremse jetzt auch nach Baden-Württemberg, ja sogar in den schwäbischen Teil davon. Ein “hot weekend pic” – so die Betreffzeile der Mail – hat Outlook wieder mal vom Server geholt.
Eine andere verheißt “better xlife, better fun”. Bestimmt steckt ein Stück digitales Ungeziefer drin.
Der Betreff allerdings kommt einem bekannt vor. Er erinnert an den Slogan, mit dem Microsoft einmal für Windows geworben hat: “Works better, plays better”.
Und schon kommt man auf abseitige Gedanken: Lässt sich vielleicht aus der Ähnlichkeit der Satzfetzen, die Aufmerksamkeit erregen wollen, schließen, dass es vergleichbar schwierig ist, Malware unter die Leute zu bringen wie ein löcheriges Betriebssystem? Und um wie viel schwieriger wäre das eine erst, wenn das andere nicht gar so löchrig wäre?
Aber das ist ja gar nicht das Thema – das diese Woche Menschen und Medien bewegt hat und um das es deswegen auch hier gehen soll. Mit: “Lässt sich die SPD verführen?” warb etwa der Fernsehsender N-TV in großflächigen Zeitungsinseraten. Darunter eine Szene aus dem Paradies während des Sündenfalls.
Vom “Liebeswerben” der hessischen Sozialdemokraten wiederum schrieb der Kölner Stadtanzeiger. Und die Welt erfand gar den vielsagenden Begriff das “parlamentarische Bett”. Das Blatt befürchtet, die SPD können sich dorthinein zusammen mit der Linkspartei legen.
Ja. Erschütternd ist das doch!
Da haben wieder einige während der Arbeit nur an das eine gedacht. Wie kann man nur die schönste Sache der Welt, als welche sie auch im schwäbischen Kernland Baden-Württembergs gesehen wird – allerdings nur nach Feierabend oder vor Dienstbeginn – wie kann man die bloß mit den Gemeinheiten und Intrigen der hessischen Politik vergleichen!?
Und die Leute, die ein derart gestörtes Verhältnis zu den sie steuernden Trieben haben, dass ihnen solche schrägen Bilder einfallen. Warum schämen die sich nicht einfach dafür und sind still?
Outlook reißt einen aus der Empörung. Auskunft zum Thema “10 things to tell an naked woman” verspricht eine Betreffzeile.
Ja. Was soll man da sagen – zu solchen Zeitungsschreibern und zu solchen Mails?
Eine andere kommt von Kalle. Der heißt eigentlich Dr. Karl-Heinz vorneweg. Aber zu seinem Humor passt einfach Kalle besser, weshalb er von allen so gerufen wird. Freitags verschickt er immer, was er im Web ge- und für lustig befunden hat, diesmal ein Video.
Es zeigt das “Bild-Girl 2007”, das die Leser wohl dieser Tage gekürt haben: eine Frau Namens Sabrina, Alter: 27. Auch detaillierte Angaben werden gemacht, welche Auswirkungen Silikon-Gaben auf ihren Oberkörper gehabt haben.
Das ist doch schön! Wenn von Silizium oder dessen chemischen Verbindungen die Rede ist, da reagiert man als IT-Schreiber ganz reflexartig, indem man sich auf seine Arbeit konzentriert.
Und erst die Stimme aus dem Off zum Video! Die säuselt: “Wunderbare 162 Zentimeter. Kurvige 82 (wegen der organischen Silizium-Verbindung, Anmerkung vom Schreiber) – 61 – 86. Federleichte 49 Kilo.”
Da ist sie doch wieder die Atmosphäre, die Datenblätter und andere Zahlenreihen stets umgibt und die der Schwabe so sehr zum konzentriert Arbeiten braucht. Sodele. Jetzt kenna mar widder schaffe! (Hochdeutsch: Oh, welch Lust ist es, ein Schwabe zu sein”)