Schaltzentrale für den Überwachungsstaat

Mit der ‘Intelligence Platform’ hat Nokia Siemens Networks ein Analysesystem geschaffen, das sich von anderen Systemen am Markt absetzt, weil es jede nur erdenkliche Art von Überwachung ermöglichen soll.

Nokia Siemens Networks bietet Kunden aus dem öffentlichen Bereich sowie Großkunden eine neue Lösung an, die ‘Intelligence Platform’
. Damit können sie alle nur erdenklichen Daten aus allen vorstellbaren Datenbanken und Bereichen miteinander vernetzen und so beispielsweise KfZ-Datenbank, Aufenthaltsgenehmigung, Telefondaten, Bewegungsdaten von Traffic Control Points oder Informationen aus der elektronischen Patientenakte bei der Krankenversicherung miteinander abgleichen und auf “verdächtige Muster” untersuchen.

Wie das Magazin ORF/Futurezone
unter Verweis auf ihm vorliegende Dokumente berichtete, habe die Siemens-Abteilung ein System geschaffen, das hier als “Cockpit für den Überwachungsstaat” bezeichnet wird. Technisch gesehen können Daten aus dem ‘Siemens Monitoring Center’ – eine bereits bestehende Lösung zur Echtzeitkontrolle von Telefonnetzen – mit den im Zuge der Vorratsdatenspeicherung aggregierten Datensätzen zusammengeführt werden. Ermittler haben so in Sekundenschnelle ihr Material gefunden.

Die Datensätze können dann auf der Platform mit Hilfe von Intelligence-Tools von NSN auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede oder beliebige Kriterien abgeklopft werden, hieß es. Die verschieden strukturierten Datensätze werden so schnell auf einen Nenner gebracht und liegen verwertbar vor. IP-Adressen etwa können sofort geografisch zugeordnet und mit anderen Datensätzen verbunden dargestellt werden.

Wie es weiter hieß, ist der Vorgang extrem vereinfacht worden. “Der Analyst kann nach Wörtern und Phrasen schnell nach Google-Art suchen. Die typische Antwortzeit ist kleiner als eine Sekunde”, zitierte der ORF aus einem ihm vorliegenden PowerPoint-Vortrag von Siemens München. Das gelte für “Web Pages, Word-Dokumenten, Transkripten, E-Mails, SMS, Chat-Protokollen” und natürlich Datenbankeinträgen generell. Ebenfalls in der Liste der Features vorgesehen sei die Integration aller Bank- und Kreditkartentransaktionen, Versicherungen und Grenzkontrollen, von Fingerabdruck- und DNA-Datenbanken sowie dem Grundbuch und “jeder anderen Datenbank, die relevante Daten enthält”.

Gegenüber silicon.de hieß es dazu aus dem Bundesamt für Datenschutz (BfDI): “Wir sind der Ansicht, dass diese Vision einer Totalerfassung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Dies wäre ein massiver Eingriff in den Persönlichkeitsschutz der Bürgerinnen und Bürger.” Jedoch gebe es zu bedenken, dass die Gefahr nicht von Siemens ausgeht. “Allerdings ist die Konzeption und das Bereitstellen eines derartigen Überwachungssystems nicht gleichzusetzen mit dem Betrieb eines solchen Systems. Der BfDI tritt seit Jahren bei der Beratung des Gesetzgebers und bei der Beratung und Kontrolle der Behörden dafür ein, dass die Zweckbindungsregelung erhalten bleibt.” Das Amt räumte ein, zum Thema dieser Plattform bereits mehrere Anfragen erhalten zu haben, etwa aus dem Ausland.

Zuvor hatte sich Merit Hansen vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (ULD) Schleswig-Holstein gegenüber dem ORF zu Wort gemeldet. Sie sieht in der Siemens Intelligence Platform durchaus eine Gefahr. “Leider gibt das vorliegende Material keinerlei Hinweise darauf, inwieweit die in Deutschland rechtsstaatlich gebotenen Beschränkungen in Art und Umfang der Datensammlung, Analyse und Verwertung vorgesehen sind. Die dargestellte Vision einer Totalerfassung aus allen möglichen Datenbanken ist wohl kaum mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar.” Die Vorstellung, dass die neu geschaffenen, aus mehreren Stellen zusammengelegten Superbehörden wie das Gemeinsame Terrorismus Abwehrzentrum (GTAZ) oder die Zentrale der neuen Bundespolizei in Potsdam solche Lösungen einsetzen und umfassend nutzen, ist derzeit, nach Aussagen aus gut informierten Kreisen, noch nicht rechtmäßig.