Flag: D
Was man sich ja schon fragt in diesen Tagen der EM: Warum nennt man das eigentlich “abmelden”, wenn man die Nummernschilder eines in die Jahre gekommenen Autos zur Zulassungsstelle bringt, um dort die Stempel abkratzen zu lassen. “Ausflaggen” wäre doch viel passender. – Deutschlands Straßen werden mal wieder von einem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer überflutet.
Dem Informatiker nun ist eine Flag (deutsch: Flagge) eine einziffrige Zustandsbeschreibung. Und das genügt auch für jene des Nationalgefühls.
Mehr als zwei Möglichkeiten braucht’s dazu nicht. Denn die Sache ist nicht allzu kompliziert, betrifft sie doch vorzugsweise Zeitgenossen von eher schlichtem Gemüt.
Die beiden Status also, die das deutsche Fußballgefühl annehmen kann, sind – in den Worten seiner Träger: “boaaah!” und “oaaah!”, wobei der dermaßen Beseelte an das positive „boaaah“ statt eines Prüfbits gerne noch ein “oléeeoléoléolé“ anhängt.
Das Ergebnis des gestrigen Kroatienspiels stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Zumindest bis dahin aber lautete das nationale Statusbit eindeutig: boaaah-oléeeoléoléolé.
Das ist dokumentiert. “Bild” nennt sich das Logfile, die tag-tägliche Fortschreibung des Gemütszustands der Nation. – Nichts anderes steht in Bild.
Allerdings wäre ein einziges Bit selbst für ein intellektuell extrem schlankes Blatt wie Deutschlands größte Tageszeitung doch etwas wenig. Außerdem würde dies auch drucktechnisch Probleme bereiten.
Deshalb verpackt Bild das aktuelle Bit stets aufwändig in Buchstaben. Hier von Wörtern zu sprechen, würde in die Irre führen, werden jene doch gemeinhin zu semantisch und syntaktisch korrekten Sätzen kombiniert, was in der Bild nicht so oft vorkommt.
So kodierte das Blatt 1990, als das beckenbäuerlich-kaiserliche Deutschland zum vorerst letzten Mal Weltmeister wurde, das nationale Gefühlsbit in: “Deutschland, Deutschland, balla, balla”.
Als einige Jahre später ein Mann, den man in seiner bayerischen Heimat unter anderen Umständen sicherlich Sepp genannt hätte, dann den Namen Benedikt annahm, flaggte Bild: “Wir sind Papst”.
Und am Montag schließlich lautete der Ein-Bitter: “Podolski putzt die Polski”. Selbstverständlich wissen alle in der Redaktion, dass das kein korrekter deutscher Satz ist.
Es ging ihnen aber wohl um etwas anderes: um eine einprägsame Headline, um Sprachmelodie und – rhythmus. Und es hat geklappt: Bild hat wieder einmal Kulturgeschichte geschrieben und Neues entwickelt: den Dadaismus der Gosse.
Mit den vaterländischen Gefühlen eben jenes Lukas Podolskis ist es übrigens komplizierter bestellt als beim Rest der Nation, wie man dieser Tage allenthalben lesen kann. Er hat zwei Nationalitäten.
Und deshalb funktionierte er in den Tagen vor dem Länderspiel wie eine seelische Flip-Flop-Schaltung. Negatives auf der einen Seite stabilisierte Positives auf der anderen.
Erstaunlicher Weise läuft’s beim Leitorgan des Gossen-Dadaismus genauso. Die deutsche Bild und die polnische Fakt sorgten in den vergangenen Tagen dafür, dass die jeweils andere Seite immer geladen blieb.
Fakt bemühte die blutige deutsch-polnische Geschichte. Bild empörte sich pflichtschuldigst. Und umgekehrt.
Beide Blätter gehören dem Springer-Konzern, dessen Unternehmensphilosophie demnach lauten dürfte: “Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust… und beide bringen Kohle.”
Na ja, man sieht halt wieder – Flag, Flip-Flop – mit einem bisschen IT kann man selbst sowas erklären. – Allerdings verstehen kann man’s wirklich nicht.
Egal, es war eine gute Woche für Deutschland. Wegen diesem Podolski, dem Helden der Nation. Wie hätte man früher gesagt? – Mit solchen Typen kann man keinen Krieg gewinnen. – Nur Länderspiele halt. Und beides geht doch sehr in Ordnung.