Rambo, der Toilettentoni und die Bildungsrepublik
Kleine Mädchen können sehr bestimmend sein. Jenes, um das es hier geht, ist vielleicht fünf Jahre alt, steht neben dem Einkaufskorb seiner Mutter vor der Zoohandlung und strahlt.
Eine eindeutige Situation: Sie möchte auf den Inhalt des Korbs angesprochen werden. Ein Wunsch, den ihr niemand – und sei er noch so in Eile – abschlagen könnte.
“Einen Wels”, antwortet sie auf die pflichtgemäße Frage, was sie denn Schönes bekommen habe. Genau genommen, handelt es sich um einen braunen Antennenwels, der in einer mit Wasser gefüllten Plastiktüte im Einkaufskorb schwimmt.
Ein Ancistrus Dolichopterus. – Aber das tut nichts zur Sache. Was Kinder an Tieren begeistert, ist schließlich nicht deren zoologische Klassifizierung.
Auch Nicht-Aquaristen können sich übrigens ein Bild von einem Antennenwels machen. Sie brauchen sich dazu bloß, eine Mischung aus einem Dackel und einem Flugsaurier vorzustellen.
Genauso ist ein Antennenwels, nur dass es sich dabei halt um einen – Anfangs zwei Zentimeter großen – Fisch handelt, der sich mit seinem Saugnapf-artigen Maul wie ein Pömpel (umgangssprachlich: Toilettentoni) an die Aquariumscheiben klebt, um Algen zu fressen.
Phantastischere Wesen kennt nur die IT. Beispielsweise den Firefox. Der heißt wie ein Säugetier, stammt vom Gecko ab, einem Reptil. Und er surft.
Allerdings möchte das strahlende Mädchen nicht über Informationstechnologie reden, sondern über den Antennenwels in der Plastiktüte. Eine einfallslose Möglichkeit, dem nachzukommen, lautet: “Wie heißt er denn?”
“Rambo”, strahlt sie. – “Ach, Kind!” denkt man, sagt es aber nicht. Wie kann man nur ein so prächtiges Tier wie einen Antennenwels nach einem der übelsten Machwerke der US-Filmindustrie benennen?
Andererseits werden heute überhaupt sehr seltsame Namen vergeben. IBM etwa nennt seine Mainframes vorzugsweise nach Sauriern.
Allerdings hat das ja auch durchaus seine Berechtigung: Wer einem derartigen Relikt aus den Urzeiten der IT in die Fänge gerät, der muss bluten. Und die Evolution ist für ihn beendet.
“Raptor” beispielsweise heißt so ein IBM-Saurier, lateinisch: Velociraptor, deutsch: schneller Räuber. So klar ausgesprochen hat kein IT-Konzern zuvor, dass er seine Kundschaft als Beutetiere betrachtet.
Gewaltiger als ein IBM-Saurier kann allenfalls ein Microsoft-Betriebssystem sein. Vista beispielsweise besteht aus deutlich mehr Lines of Code als die Systemsoftware eines Großrechners.
Die meisten PCs brechen denn auch unter dieser Last zusammen. Oder sie werden zumindest sehr, sehr träge.
Entwickelt allerdings wurde Vista unter dem Code-Namen “Longhorn”, wobei Longhorn-Rinder extrem anspruchslos sind und ein ganz mageres Fleisch haben. Vista nach solch genügsamen Tieren zu benennen, ist eigentlich noch abwegiger, als einen friedlichen Algen-Schlonzer nach einer cineastischen Kampfmaschine zu benennen.
Oder die vom Finanzamt: Die kürzen ihre elektronische Steuererklärung doch tatsächlich “Elster” ab. Ein echter Schenkelklopfer. Was sind das bloß für Fleischerhunde, die so einen Humor haben!
Die Bundeskanzlerin hat sich letzte Woche ebenfalls in Nomenklatur geübt und die “Bildungsrepublik Deutschland” ausgerufen. Da fragt man sich doch schon, was deren Redenschreiber eigentlich hauptberuflich machen.
60 Prozent der Hauptschüler hierzulande finden keine Lehrstelle – das ist am selben Tag bekannt geworden. Und die Kanzlerin versucht ein Bonmot.
Die geringsten Chancen haben die Youngsters, deren Eltern zugewandert sind. Für sie gibt es mittlerweile einen wohlklingenden Namen – “Menschen mit Migrationshintergrund” – nur halt keine Ausbildungsplätze.
“Deutschland ist Integrationsland”, sagt die Parteifreundin der Kanzlerin Maria Böhmer dazu. Das unterstreicht die Bedeutung ihrer Person: Sie ist die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung.
Das alles dürfte das kleine Mädchen vor der Zoohandlung allerdings recht wenig interessieren. Es freut sich vielmehr offenkundig sehr darauf, den Antennenwels ins Aquarium einzusetzen und zuzuschauen, wie er sich wie ein Toilettentoni an die Scheibe klebt.
“Rambo”, hört man sich sagen, “das ist aber ein schöner Name.” Und jetzt strahlt das kleine Mädchen sogar noch ein kleines bisschen mehr.