Gedanken im Grünen
An Tagen wie diesen gibt’s doch nix Schöneres, als in einem bayerischen Biergarten zu sitzen und über tiefgründige Fragen zu sinnieren, etwa über jene, die da lautet: Ja, spinnen die jetzt alle?.
Wie weiland 68 stehen sie heute wieder in aller Herrgottsfrühe vorm Werkstor und verteilen Flugblätter gegen die Regierung, eine große Koalition wie die, derentwegen damals die APO entstanden ist. Aber diesmal ist’s anders.
Die Passauer Neue Presse hat ein Bild von einem der Protestierer abgedruckt: vom Huber, Erwin, wie der gerade versucht, Arbeiter zu agitieren. Für diejenigen, die den nicht kennen: Das ist der Vorsitzende jener Partei, die man in Bayern auch “die” Partei nennt, weil’s die anderen im Freistaat ja nicht so richtig gibt. Das Arbeiterrecht, für das der Huber, Erwin eintritt, ist die Pendlerpauschale.
Und Guido Westerwelle, der ansonsten proletarischer Umtriebe völlig unverdächtig ist und sich deshalb lieber um circenses als um panem kümmert, sagt dem Massenblatt Bild, die Stromkosten seien der “Brotpreis des 21. Jahrhunderts”. Deshalb müsse man die Steuern darauf senken.
Die Bundeskanzlerin hingegen meint, so schlimm sei’s nun auch wieder nicht, weil Hartz-IV-Empfänger doch eh die Stromrechnung bezahlt bekämen, worauf ihr Generalsekretär einräumt, dass das vielleicht nicht ganz stimmt (also eigentlich gar nicht). Aber auf jeden Fall wäre jene Rechung niedriger, wenn’s genügend Atomstrom gäbe oder irgendwie so halt.
Erhard Eppler wiederum, der die Grünen erfunden hat, lange bevor die selbst draufkamen, schlägt vor, Kernkraftwerke länger am Netz zu lassen, worauf jene Grünen für diesen Fall Massendemonstrationen ankündigen. “Wir werden uns auf der Straße wiedersehen”, droht Fritz Kuhn diese Woche im ZDF. – Das könnte hart werden für die Damen und Herren Ex-MinisterInnen, für ehemalige StaatssekretärInnen und parlamentarische GeschäftsführerInnen. Die Straße ist für sie ein mittlerweile ja doch recht ungewohntes Pflaster.
Atomkraft? – Nein, und zwar ganz ohne danke! Denn das geht schon aus dem Grund nicht, weil die besten Standorte mittlerweile weg sind. Dort stehen heute Rechenzentren – an den Flüssen wegen der Kühlung. Man braucht sich nur das neue von Google am Columbia River in Oregon anzuschauen. Genau an solche Stellen hat man früher Atommeiler gebaut. “Green IT” nennt die Computerindustrie das.
PR-mäßig sehr viel geschickter stellt sich da schon IBM an. Der Konzern heizt mit seinem Data Center im Schweizer Uitikon die dortige kommunale Badeanstalt, also: Kinderlachen statt Kühltürme. Das kommt immer gut.
Aber eine Lösung ist das auch nicht. Denn so viel plantschen mögen die Kleinen auch wieder nicht, wie die Branche rechnen will.
Allerdings – das hat dann aber nichts mehr mit dem Polit- und PR-Geschäft mit der Energiemisere zu tun – IBM hat ja auch schon einmal gezeigt, wie’s gehen könnte. Ein Computer macht schließlich nicht viel mehr, als Nullen und Einsen zu addieren. Dabei wird keine Energie verbraucht – nur verschwendet, wenn man’s dumm anstellt.
IBM ist deshalb, weil diese Verschwendung zu teuer kam, mit seinen Mainframe-Chips in den 90er-Jahren von der Bipolar- auf die CMOS-Technik ungestiegen. Die Prozessoren schalten jetzt mit elektrischer Ladung statt mit Strom. Das spart.
Oder: der Roadrunner, der schnellste Supercomputer der Welt, der erste PetaFlOPS-Rechner. In zwei Jahrzehnten wird der ein Stück altes Eisen sein, weil es dann den ZetaFlOPS-Rechner gibt. Würde dessen Stromverbrauch proportional zur Rechenleistung steigen, bräuchte man mindestens 1000 AKWs für seinem Betrieb.
Das geht selbstverständlich nicht. Und deshalb geht’s anders. Genau das zeigt der Roadrunner. Der verbraucht für sein PetaFlOPS so viel wie der zweitstärkste Zahlenfresser für ein halbes.
Es existiert kein Naturgesetz, das besagt, man bräuchte, um von Peta zu Zeta zu kommen, eine bestimmte Menge Energie, und ebenfalls keines, wonach eine bestimmte Energie vonnöten ist, um von Ort A nach Ort B zu gelangen, es sei denn, man würde immer bergauf fahren.
Gar keinen Computer braucht man übrigens, um sich auszurechnen, dass das mit der Kernenergie nicht funktionieren kann. Denn dabei entsteht Plutonium. Und dessen häufigstes Isotop Pu 239 hat eine Halbwertszeit von 24.110 Jahren. Das ist länger als vom Peta- zum ZetaFlops-Rechner, eher schon so lange wie vom Faustkeil bis dahin.
Und während eines Vielfaches dieses Zeitraums müsste dieser strahlende Abfall sicher gelagert werden. Und organisieren müssten dies genau die Politiker, die nicht wissen, wer eine Stromrechnung bezahlt, was ein Brot beim Aldi kostet oder was für Dummheiten sie vor drei Jahren selbst beschlossen haben.
Na ja, auf was man halt so kommt, wenn man unter einer Kastanie sitzt und sinniert. Darüber ist allerdings das Bier zur Neige gegangen. Und man überlegt, ob es – vom grünen Standpunkt aus betrachtet – verantwortbar wäre, sich noch eins zu kaufen.
Eigentlich spricht ja nichts dagegen. Sämtliche dabei entstehenden Abfallstoffe sind biologisch abbaubar. Und der Schankkellner hinterm Banzen scheint auch durchaus bereit, kurzfristig die Fördermenge zu erhöhen.