Mensch(,) Terry!

Zwei Umstände sind es, die einen eigentlich daran hindern sollten, über Terry Childs zu schreiben. Zum einen gibt es nur wenig, was man über ihn mit Sicherheit weiß. Zum anderen ist es sehr schwer, in seiner Angelegenheit die rechten Worte zu finden. Und wählt man die falschen, gerät man selbst ins Zwielicht.

Aber was soll’s. Hindernisse sind dazu da, um überwunden oder wenigstens um ignoriert zu werden.

Also: Über Terry Childs ist bekannt, dass er Netzwerk-Administrator des Department of Telecommunication Information Services in San Francisco war. Dessen Wide Area Network (WAN), über das die dortigen Behörden einen Großteil ihrer Kommunikation abwickeln, hat er vor ein paar Jahren eingerichtet.

Allerdings diesen Job ist er jetzt wohl los. Denn er hat die Router und Switches des Netzes mit einem Passwort gesichert und sich geweigert, dieses herauszugeben.

Ansonsten weiß man über ihn noch, dass er ein Könner – Cisco Certified Internetwork Expert – ist und dass er seine Arbeit liebt. Also er ist zunächst einmal ein Mensch.

Denn das ist ja einer der Punkte, worin diese Spezies sich vom Viehzeug unterscheidet. Menschen können in ihrer Arbeit aufgehen. Und hindert sie jemand daran, ihr Werk wohl zu verrichten, so ist das, als greife er ihre Person an.

Wenig sagt hingegen aus, welche Position oder welchen Rang jemand bekleidet. Da verhält sich der Homo sapiens wie’s Vieh: Er organisiert sich in der Regel in hierarchisch strukturierten Sozialverbänden, beziehungsweise meist tut er das nicht selbst, sondern andere tun es mit ihm.

Als “Psycho-Admin” wird Terry Childs in der deutschen IT-Fachpresse bezeichnet. Das ist zwar abwertend gemeint, aber doch hilfreich, weil es auf die Verschiedenheit von sozialen Hierarchien und jenen in der Tierwelt hinweist.

Manche Menschen mögen es nicht, dass andere über ihnen stehen. Klassisch formuliert hat diese Antipathie Robert Gernhardt (1937 – 2006): “Es sprach der Herr zum Knecht: ‘Mann, geht es mir heut schlecht.’ – Da sprach der Knecht zum Herrn: ‘Das hört man aber gern.'”

Wie diese Aversion zu bewerten ist, ist umstritten und hängt von der Perspektive ab. Berthold Brecht (1998 – 1956) beschreibt sie als essentielle menschliche Eigenschaft: “Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern. Er mag unter sich keinen Sklaven sehn und über sich keinen Herrn.”

In der sozialen Draufsicht stellt sich diese Abneigung hingegen als Insubordination dar, wie man es früher ausgedrückt hat. Heute spricht man lieber modern von “mangelnder Team-Fähigkeit”, wenn jemand nicht pariert.

Der Widerwille, sich ein-, sprich: unterzuordnen, ist häufig dann besonders groß, wenn Zweierlei zusammen kommt, wenn die Oberen nur zum Oben-sein fähig sind und zu sonst nix und wenn ein Unterer ein empfindsames Gemüt (lat.: Psyche) hat, also keines wie ein Fleischerhund. Und das scheint, beim “Psycho-Admin” der Fall zu sein. Er hat ganz offenkundig nichts Viehisches an sich.

Den Bürgermeister von San Francisco Gawin Newsom, dem er schließlich das Passwort gegeben hat, hat er eindringlich gebeten, dafür zu sorgen, dass es nicht in falsche Hände, sprich: in jene von Childs’ Vorgesetzten, gerät. Von denen nämlich hält er nichts, zumindest nichts Gutes. Newsom solle es statt dessen an die Cisco-Techniker weiterreichen.

Des “Psycho-Admins” Vorgesetzer Ron Vinson wiederum sagte über seinen Untergebenen: “Allen Anschein nach betrachtet Childs das Netzwerk als sein Eigentum. Da aber irrt er sich. Das WAN gehört den Steuerzahlern.”

Das belegt Childs’ Auffassung selbstverständlich nicht völlig. Es lässt sie aber doch als sehr plausibel erscheinen.

Jedenfalls fällt einem spontan nichts Gutes ein – zu jemandem, der für eine Sache verantwortlich zeichnet – die Sicherheit der IT – darin völlig versagt und zur Entschuldigung Plattheiten von sich gibt über die Leute, für die er verantwortlich zeichnet, worin er wiederum ebenfalls völlig versagt hat.

Blogger hingegen äußern sehr viel Verständnis und Mitgefühl für Terry Childs. Das ist ja auch wieder typisch – für den Menschen. Als dessen affenähnliche Vorfahren vor ein paar Millionen Jahren begannen, sich nicht nur ihr eigenes Schicksal, sondern auch das ihrer Artgenossen zu Herzen zu nehmen, da war der Rest der Hominisation nur noch ein Katzensprung.

Der Mensch ist qua Spezies ein Mitfühler. Allerdings darf man das nicht mit einem eigentlich sehr viel besser klingenderen Wort ausdrücken.

Als “Sympathisant” sollte man sich aus wohlverstandenem Eigeninteresse nicht bezeichnen. Das ist ein Wort, das totgeschlagen wurde. Und Schläge drohen auch dem, der es verwendet.

Deswegen ist es auch völlig inopportun, dem Gedanken nachzuhängen, dass die Welt vielleicht eine bessere wäre, wenn sich inkompetente Hierarchen darüber bewusst wären, was Blicker wie Terry Childs im Zeitalter der Informationsgesellschaft alles vermögen: Sie würden sie und andere dann vielleicht etwas pfleglicher behandeln.

Und deshalb wird an dieser Stelle auch nicht einer der wenigen klugen Sätze zitiert, die Lenin von sich gegeben hat – die Sache mit dem Wissen und der Macht. Das würde sicherlich falsch verstanden werden.

Tja, es lässt sich halt wirklich wenig über die Angelegenheit Childs sagen. – Die mit der Verfolgung seiner mutmaßlichen Straftat befasste Staatsanwaltschaft hat dann diese Woche noch User-IDs und –Passwörter des kommunalen Netzes von San Francisco veröffentlicht, wahrscheinlich sogar ohne sich bewusst zu sein, was für ein Sicherheitsrisiko das darstellt.

Im dortigen WAN liegt also wirklich einiges im Argen. – Na ja, und darauf hingewiesen zu haben, ist sicherlich das Verdienst von Terry Childs.

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