Wahl-O-Mat
Seit jeher stellen sich die Menschen das Paradies als einen Garten vor. (Zu den Details siehe 1. Buch Mose, Kapitel 2, Vers 8ff.)
Und in Bayern wird an schönen Tagen zur Gewissheit, dass es sich dabei um einen Biergarten handeln muss. Nirgendwo sonst gedeihen die Bäume der Erkenntnis in Form von Kastanien so schön und in solch großer Zahl.
Allerdings isst man hierzulande nicht von ihren Früchten, weil das ja eine Sünde wäre – und Rosskastanien außerdem ungenießbar sind. Man trinkt statt dessen lieber noch eine zweite Mass. So kann man dann später einmal unbelastet vor die Schranken des jüngsten Gerichts treten.
Der bayerische Ministerpräsident nun, welcher sich gleichfalls nicht ausschließlich von den Früchten der Erkenntnis nährt, hat unlängst erklärt, dass auch, hernach Auto zu fahren, schlimmsten Falls eine lässliche Sünde sei. Aus soviel öffentlich bekundeter Volksnähe lässt sich unschwer schließen, dass ein Wahltag ansteht. Am Sonntag ist’s wieder soweit.
Wo man sein Kreuz macht, darüber sollte man gründlich nachdenken. Und dafür eignet sich wiederum kein Ort so gut wie der Biergarten.
Wenn das Licht der Herbstsonne sich am dicken Glas der Mass bricht, dann sieht man auch die kompliziertesten Sachverhalte auf einmal ganz klar. Beispielsweise, warum dieser Wahl-O-Mat einem hier nicht beim Kreuzeln helfen kann, jene Website, die die eigenen Überzeugungen mit den politischen Aussagen der antretenden Parteien abgleicht.
Die offizielle Erklärung lautet ja: Die ÖDP hätte dagegen geklagt. Und als das Landgericht München dann entschieden habe, sei’s zu spät gewesen für den Wahl-O-Mat. Das aber ist eine Lüge.
Die Wahrheit lautet vielmehr: Die Politik in Bayern ist viel zu komplex, um sie in Software abbilden zu können!
Es beginnt schon damit, worum es am Sonntag geht: Die CSU will die absolute Mehrheit der Stimmen. Oder als Formel ausgedrückt: 50 + x.
Die anderen wollen das verhindern, also: 50 – x. Was zunächst nur nach zwei schlichten linearen Gleichungen ausschaut, ist allerdings in Wirklichkeit sehr viel schwieriger.
Bekommt die CSU 50 + x Prozent, dann hat sie gewonnen. Und sie kann weiterregieren – mit der absoluten Mehrheit der Stimmen wie seit 1970.
Bekommt die CSU aber 50 – x – und jetzt wird’s kompliziert – dann haben die anderen gewonnen. Und die CSU kann weiterregieren – mit der absoluten Mehrheit der Mandate wie vor 1970. So eine Logik kriegt man in einen Rechner einfach nicht rein.
Leichter wird es auch nicht wenn man sich besagte Andere anschaut: Bayern ist ja ein zutiefst sozialdemokratisch geprägtes Land.
Spätestens jetzt sollte man einen großen Schluck aus seiner Mass nehmen, um sich zur Kühnheit dieses Gedankens aufschwingen zu können, aber anschließend nur langsam weitertrinken, um seinem komplizierten Lauf zu folgen, in der Lage zu sein: Der Freistaat Bayern wurde 1918 von Kurt Eisner (erst SPD, später USPD) ausgerufen und seine Nachkriegsverfassung von Wilhelm Hoegner (SPD) ausgearbeitet.
Heute sagt der Ministerpräsident: “Ein anständiger Bayer wählt CSU” (Günther Beckstein in den Passauer Neusten Nachrichten vom 2.8.2008). Ein derart Bezeichneter mag das vielleicht mit einem “A so a Schmarrn” abtun.
Die SPD jedoch glaubt’s wohl und wirbt deshalb mit “Bayern, aber gerechter”, einem Wahlslogan mit Komma (!) – weil man ein solches ja vor eine einschränkende Konjunktion setzen muss.
Worüber man aber halt ins Sinnieren kommt – wenn die Herbstsonne so schön scheint – ist weniger das Komma als die einschränkende Konjunktion! Offenkundig betrachten die weiß-blauen Hellroten das, was sie wollen, als Beschränkung für den Freistaat.
Das ist das Paradoxon der angestammten bayerischen Oppositionspartei. Ein Datenmodell für Paradoxa aber ist noch nicht erfunden. Und allein schon deshalb hat das ja mit dem Wahl-O-Mat nichts werden können.
Und bei den anderen Parteien sieht’s genauso aus: Der Wahl-O-Mat speichert politische Aussagen. Von der hiesigen FDP aber sind keine solchen bekannt.
Und auch ansonsten recht wenig. Politische Persönlichkeiten dieser Partei etwa sind im Freistaat ungefähr so stark verbreitet wie zeugungsfähige Wolpertinger.
Aber darum geht’s bei der FDP ja gar nicht: Bei der letzten Bundestagswahl erzielte sie in Bayern Ergebnisse zwischen 7,0 Prozent in Schwandorf und 13,4 Prozent in Starnberg, proportional zu den Preisen fürs Bauland. Um die FDP softwaretechnisch abzubilden, müsste so ein Wahl-O-Mat also vor allem mit Geodaten umgehen können.
IT-mäßig einer äußerst aufwändigen Behandlung bedürften auch die freien Wähler. – Da kommen historische Daten ins Spiel: In der CSU ist, wer in der CSU ist, was nicht tautologisch gemeint ist, sondern zur Unterscheidung von den freien Wählern dient. Denn bei denen nämlich ist, wer in der CSU war.
Und überhaupt: Würde am Sonntag nicht gewählt, sondern gegoogelt, dann hätte dieser “anständige” Beckstein keine Chance. Dann würde Gabriele Pauli von den freien Wählern bayerische Ministerpräsidentin, es sei denn Britney Spears oder Paris Hilton würden sich noch kurzzeitig entschließen, bei den weißblauen Blau-Gelben einzutreten.
Die Linken gibt’s natürlich auch im Freistaat, wo er doch schon seit Eisler so heißt. Und der CSU-Vorsitzende Erwin Huber führt einen “Kreuzzug gegen die Partei von Oskar Lafontaine” (Süddeutsche Zeitung vom 24.8.2008).
Da fragt man sich natürlich schon – und nimmt noch einen kräftigen Schluck – ob sich sowas wegen der paar Prozent denn überhaupt lohnt. Aber der Huber hat selbstverständlich nicht die 4 von den Linken im Sinn, sondern die vielleicht knapp 20 von der SPD, der er im Rahmen seines Kreuzzugs nachsagen kann, doch mit den Linken zu wollen.
Es ist also wohl eine Neuauflage des 4. Kreuzzugs, den Erwin Huber führt. Seinerzeit leiteten ja die Venezianer den waffenstarrenden Pilgerzug nach Konstantinopel um, auf dass die Gläubigen, den dortigen Orthodoxen den Schädel einschlugen, anstatt den Heiden im Morgenland.
Schon Karl Marx, der Altvater aller Linken, kannte eine solche Orientierung an historischen Vorbildern und er postulierte, “dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen… das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce” (Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW Bd. 8, S. 115). Jetzt wird er durch den Kreuzfahrer Huber bestätigt. Das soll mal ein Computer auf die Reihe bekommen.
Die Grünen sind ebenfalls seit über zwei Jahrzehnten im Landtag und verarbeiten deshalb gerade ihr erstes Erfolgserlebnis: “Der bayerische Spitzenkandidat Sepp Daxenberger und die Fraktionsvorsitzende Margarete Bause kamen zu der unzweifelhaften Ehre in der ARD-Kabarettsendung ‘Scheibenwischer’ verulkt zu werden” (Pressemitteilung vom 11.9.2008).
Wen soll man da jetzt wählen? Kein Wahl-O-Mat kann einem bei der Beantwortung dieser Frage helfen, höchstens die besagte zweite Mass. Man braucht ja nicht, mit dem Auto zu fahren, hinterher.
Schwierig ist es, so eine Wahlentscheidung zu treffen, aber auch schön – im Biergarten. Der Weg ist schließlich das Ziel, wie dieser Laotse gesagt hat. – Den könnte man wirklich wählen. Aber der kandidiert ja nicht, dieser Laotse.