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Preiswürdiges

Wer wirklich etwas wissen will, muss allerdings meist lange nachfragen, bis sich überhaupt jemand findet, der Erwähnenswertes über ein Software-System sagen kann. Verkäufer denken halt in Powerpoint-Präsentationen und tun sich deswegen mit dem sprachlichen Konstrukt des Prädikats – deutsch: Satzaussage – doch arg schwer.

Ein Preis hingegen geht immer, vorzugsweise wenn er von jener Computer-Zeitschrift vergeben wird, die die Firma mit ihren Anzeigen finanziert. Ähnliche Auszeichnungen nun wurden diese Woche auch in einer anderen Branche vergeben: der deutsche Fernsehpreis.

Einer davon sollte an Marcel Reich-Ranicki verliehen werden, an einen übermütigen und kraftstrotzenden 88-jährigen Jüngling, in einem Festsaal voller – im Durchschnitt wohl – halb so alter Greise. Er könne “diesen Gegenstand nur jemandem vor die Füße werfen” dröhnte er. Andere – exemplarisch für sie steht Marco Schreyl (Deutschland sucht den Superstar) – nahmen wiederum dankbar an.

Allerdings ist Reich-Ranicki niemand, den am Sonntag die Seichtigkeit deutscher Fernsehunterhaltung in seinem literarischen Elfenbeinturm wie ein Blitz getroffen hätte. Im Gegenteil: Er ist jemand, der eine gute Show zu inszenieren weiß.

Und das hat der Medien-Profi den versammelten Amateur-Witzbolden und Serien-Langweilern demonstriert. That’s entertainment! Live, dramaturgisch perfekt und mit einem Star-Darsteller in der Hauptrolle. Die sicherlich würdevollste Verleihung eines deutschen Fernsehpreises, seit jener “Gegenstand” in Plexiglas gegossen wird.

Am Montag dann wurde bekanntgegeben, wer den diesjährigen Wirtschaftsnobelpreis bekommt. Auch das ist diesmal anders.

Denn bislang ist es ein eher dröges Ritual gewesen: Zuerst steht nur der Name des Geehrten in der Zeitung und die alte Geschichte, dass diese Auszeichnung nicht auf Alfred Nobel zurückgeht, sondern von der schwedischen Reichsbank in Gedenken an jenen gestiftet wurde. – Zeitungsschreiber müssen halt auch die vorgegebenen Zeilen füllen. – Erst am folgenden Tag erfährt man in der Regel, was der Ausgezeichnete denn so erforscht hat.

Und das alles hängt miteinander zusammen: Die Wirtschaftswissenschaft ist so eine Art Theologie. Ihre zentralen Kategorien sind Vertrauen, das wiederherzustellen, den deutschen Steuerzahler jetzt bis zu 400 Milliarden Euro kostet, und Glaube, “welcher höher ist denn alle Vernunft” (Philipper, Kap. 4, Vers 7) in dem Fall an die universelle Kraft des Marktes.

Auch Laien wie der Staatswissenschaftler Otto Graf Lambsdorff können davon beseelt sein. Mit einem “liberalisierenden Ansatz von Marktwirtschaft” lasse sich die gegenwärtige “Vertrauenskrise in den Griff bekommen” sagte er dieser Tage im Deutschlandfunk. – Ja, eines starken Glaubens bedarf es, um so ein Bekenntnis allen Anfechtungen der Vernunft zum Trotz abzulegen.

Den quasi hohen Priestern des Marktes, also den Wirtschaftswissenschaftlern, obliegt es, ihre Glaubenssätze gegen die profane Wirklichkeit zu verteidigen. Sie bedienen sich dazu der Infinitesimalrechnung, welche in etwa so populär ist wie die lateinische Liturgie.

Deshalb brauchen Zeitungsschreiber meist einen Tag, bevor sie etwas zur Forschungsarbeit eines Preisträgers in Blatt heben können. Und der erfolgreiche Geschäftsmann Alfred Nobel hielt überhaupt nichts von der Wirtschaftswissenschaft.

Diesmal aber ist’s anders: Der nominierte Paul Krugman glaubt nicht an die mysteriösen Gesetze des Marktes. Er hält es statt dessen für sinnvoll, wirkliche Gesetze zu erlassen, damit ein geordneter Markt richtig funktionieren kann.

Paul Krugman unterscheidet sich von früheren Nobelpreisträgern in etwa so wie Marcel Reich-Ranicki von Marco Schreyl. Und darüber hinaus beherrscht er wie der wortgewaltige Literaturkritiker seine Muttersprache: Als “Know-Nothingism” bezeichnet er die Glaubenssätze der Markt-Fundamentalisten. That’s Infotainment!

Gleich zwei würdige Preisträger also in nur einer Woche! So eine Trefferquote hat Seltenheitswert.

Man fragt sich allerdings, wenn man sich mit Paul Krugman befasst, warum der von ihm postulierte Know-Nothingism nicht nur die Wirtschaftstheoretiker, sondern auch die Praktiker in den Vorständen und Aufsichtsgremien der Banken erfasst hat. Die IT-Industrie offeriert doch jede Menge und “vielfach ausgezeichnete” Tools fürs Risk-Management und um ein bisschen Wissen auch auf die Chefetage zu bringen.

Sie bietet Data Warehouses an, MIS und EIS (Management und Executive Informationsystems), kurz: Business Intelligence. – Es dürfte wohl daran liegen, dass es nicht genügt intelligente Systeme bloß in Binaries zu packen. Intelligenz muss schon auch neuronal implementiert werden.

Vielleicht könnte da ja das Vorbild von Marcel Reich-Ranicki Abhilfe schaffen. Man stelle sich das einmal vor: eine IT-Broschüre, verfasst in gutem Deutsch! Doch, die Welt, sie wäre ein klein bisschen besser, wenn man die Wortgewalt eines alten Polterers in den Dienst der IT stellen würde.

Silicon-Redaktion

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