Rechtsvertreter ebenso wie Psychologen und Internetnutzer rund um den Erdball diskutieren darüber, welche Verantwortung der zugeschalteten Community übertragen werden kann. Rechtlich scheinen die Selbstmord-Voyeure nach der Gesetzeslage im US-Bundestaat Florida, wo sich der Vorfall ereignete, jedoch kaum fassbar zu sein. Hinzu kommt, dass eine Vielzahl der Zuschauer – zumindest bis es zu spät war – wohl davon ausgegangen ist, dass es sich nicht um einen echten Suizid handelt.
Wie die New York Times berichtet, hatte Biggs Online-Selbstmord zu den unterschiedlichsten Reaktionen bei den Zuschauern geführt. Einige hatten den jungen Mann gar angespornt, jene Pillen zu schlucken, die vermutlich zum Tod führten. Erst nachdem Biggs das Bewusstsein verloren hatte, riefen einzelne Zuseher offenbar die Polizei. In vielen Blogs und Internet-Foren spekulierten die Leute in den vergangenen Tagen darüber, ob sich der 19-Jährige vielleicht gar nicht umbringen, sondern mit seiner Live-Übertragung um Hilfe schreien wollte. “Wenn jemand Suizid oder die Absicht dazu androht, handelt es sich niemals um einen Scherz. Es verdient immer Aufmerksamkeit und ist grundsätzlich ein Schrei nach Hilfe”, sagt Joshua Perper, der verantwortliche Untersuchungsarzt in Broward County, wo Biggs lebte.
Biggs Fall war nicht der erste Selbstmord, der sozusagen live im Web begangen wurde. Vergangenes Jahr zum Beispiel erhängte sich ein Brite, während er im Internet chattete. 2003 dokumentierte ein Mann in Arizona, wie er sich selbst eine Überdosis Drogen verpasste, live in einem Chatroom. Darüber hinaus gibt es auch spezielle Webseiten, die den Nutzern Anleitungen und Tipps zum Selbstmord geben. Rein rechtlich sind solche Plattformen in den meisten Ländern kaum oder gar nicht zu fassen. In Großbritannien wurde im vergangenen Sommer erstmals der Ruf nach strikteren Gesetzen laut, um Schlupflöcher für die Seitenbetreiber zu schließen. Auch in Deutschland gibt es bis dato keine gesetzliche Grundlage, die das Betreiben von Pro-Selbstmord-Seiten generell verbieten würde.
Das Online-Forum BodyBuilding.com, wo der 19-jährige Biggs seine Pläne zum Suizid im Detail offenlegte, sowie die Web-TV-Plattform Justin.tvt, wo der Selbstmord übertragen wurde, haben inzwischen die meisten Informationen zu dem Fall von ihren Seiten entfernt. Laut einem im Web in Umlauf befindlichen Screenshot hatten zum Zeitpunkt, als die Polizei Biggs Zimmer betrat, jedenfalls 181 Menschen zugeschaut. Im angeknüpften Chatroom hatten Leute die gängigen Kürzel zu “oh my God” (omg) und “laugh out loud” (lol) getippt. Der Vater des Verstorbenen kritisierte in einem Interview mit der Agentur Associated Press (AP), die mangelnde Verantwortung seitens der Nutzer und auch der Plattform-Betreiber. “Als menschliches Wesen sieht man jemandem in dieser Situation nicht einfach zu, lehnt sich zurück und verfolgt das einfach mit”, klagt Abraham Biggs Sr. Gleichzeitig fordert er irgendeine Art der Regulierung für derlei Vorfälle.
M. David Rudd, Chairman des psychologischen Instituts der Texas Tech University, ist der Ansicht, dass der junge Mann kein Online-Publikum für seinen Selbstmord suchte. “Was er getan hat, war seine ambivalente Haltung gegenüber dem Sterben auszudrücken und nach Hilfe zu rufen.” Die virtuelle Natur der Online-Community jedoch – distanziert, weitgehend unverantwortlich und hauptsächlich auf der Suche nach Unterhaltung – sei ebenso ambivalent, so Rudd. Das Internet könne nicht wirklich zur Suizid-Prävention dienen.
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