“Die moderne Art zu trauern”

Bei AOL spricht man von “einem bahnbrechenden Moment in der Geschichte des Internets”. Etwas Vergleichbares habe es auf diesem Gebiet noch nicht gegeben. Der Instant-Messaging-Dienst AIM ging nach Angaben einer Sprecherin am Donnerstagnachmittag 40 Minuten komplett in die Knie – überhaupt ging das Epizentrum des Internet-Erdbebens von AOL-Servern aus.

Denn zum Konzerngeflecht gehört auch der Hollywood-Nachrichtendienst tmz.com, er hatte die Nachricht von Michael Jacksons Tod zuerst verbreitet: “Wir haben gerade erfahren, dass Michael Jackson von einem Notarztwagen in ein Krankenhaus in Los Angeles gebracht wurde… Uns wurde gesagt, dass er einen Herzstillstand erlitten hat und dass Sanitäter Wiederbelebungsversuche unternehmen… Es sieht schlecht aus.” Kurz darauf war bei TMZ zu lesen: “Wir haben gerade erfahren, dass Michael Jackson gestorben ist. Er war 50.”

Wenig später brach im Internet die Hölle los, beim Internetdienst Google Trends spricht man von einem “Vulkanausbruch”. Millionen von Internetnutzern suchten innerhalb kürzester Zeit nach “Michael Jackson”, die Suchprogramme des Internetkonzerns meldeten Botnet-Alarm, sie gingen von einem maschinengesteuerten Angriff aus.

Twitter-Anwender sendeten im Sekundentakt News, Gerüchte, Kondolenzbekundungen und Kommentare in ihren “Tweets” und brachten den Dienst an den Rand des Absturzes. Zur Hochzeit trafen rund 5000 Kurztexte pro Minute zu Michael Jackson ein. Bei Wikipedia tobte derweil ein Autoren-Krieg. Denn während bei Twitter der Tod des Künstlers längst als Tatsache betrauert und diskutiert wurde suchten klassische Medien wie CNN noch eifrig nach einer offiziellen Bestätigung. Dementsprechend wurde Michael Jacksons Tod bei Wikipedia ständig in den zugehörigen Artikel hineingeschrieben, nur um umgehend von einer anderen Person wieder entfernt zu werden. Das Hin und Her flaute erst ab, als ein Gerichtsmediziner bestätigt hatte, dass Jackson nicht wiederbelebt werden konnte.

Angesichts dieses intensiven Austauschs der Fans weltweit über soziale Netzwerke sprechen Beobachter bereits von der “modernen Art zu trauern” und sehen darin einen Meilenstein in der Entwicklung der digitalen Medienwelt. Tatsächlich ist Jacksons Tod das erste Ereignis der Web-2.0-Ära, das eine ähnliche Massen-Trauer auslöst wie der Unfall-Tod von Lady Diana. Damals trugen die Trauernden Unmengen von Blumen zum Buckingham Palace und anderen Gedenkstätten, 12 Jahre später ergießt sich die Flut der Beileidsbekundungen vor allem über das Internet. Möglichkeiten und Grenzen des Mediums werden dabei scharf wie selten sichtbar.

Silicon-Redaktion

Recent Posts

Alle Prozesse im Blick: IT-Service Management bei der Haspa

Wo es früher auf Buchhalter, Schreiber und Boten ankam, geht es heute vor allem um…

17 Stunden ago

Wie generative KI das Geschäft rund um den Black Friday verändert

Mit KI-Technologien lässt sich das Einkaufserlebnis personalisieren und der Service optimieren, sagt Gastautor Gabriel Frasconi…

17 Stunden ago

Banken und Versicherer sind KI-Großabnehmer

Ein Großteil der weltweiten KI-Gelder fließt in den Finanzsektor. 2023 wurden in der Branche 87…

2 Tagen ago

Siemens legt 10 Milliarden Dollar für Software-Spezialisten auf den Tisch

Die Übernahme des US-amerikanischen Anbieters Altair Engineering soll die Position im Markt für Computational Science…

2 Tagen ago

Standortübergreifender KI-Einsatz im OP-Saal

Ein deutsch-französisches Projekt hat hybride Operationssäle entwickelt, die durch 5G-Netz und KI neue Anwendungen ermöglichen.

2 Tagen ago

OT-Security braucht zunächst Asset-Transparenz

Unternehmen wissen oft nicht, welche Geräte in der Produktion eine IP-Adresse haben, warnt Peter Machat…

5 Tagen ago