Der Dienstleistungssektor in Deutschland wächst seit Jahrzehnten. Er beschäftigt mehr und mehr Arbeitnehmer und leistet einen immer größeren Beitrag zur Bruttowertschöpfung – 2008 schon 69 Prozent. Im 21. Jahrhundert hat sich die Tertiarisierung (Prozess der Umwandlung einer Industriegesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft) zwar verlangsamt und in den letzten fünf Jahren sogar ausgesetzt. Trotzdem gehen Ökonomen davon aus, dass der Strukturwandel in Deutschland nicht abgeschlossen ist und der Dienstleistungssektor noch wichtiger wird. Dann begann im Herbst letzten Jahres die Finanzkrise Einfluss auf die Realwirtschaft zu nehmen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verändern. Wie wirkt sich dies auf den Strukturwandel in Deutschland aus?
Der Strukturwandel erfolgt nicht gleichmäßig. Er wird unter anderem durch die Konjunkturzyklen bestimmt, denn Industrie und Dienstleistungen sind unterschiedlich konjunkturreagibel. Der Geschäftsverlauf der deutschen Industrie wird eher von Investitionen aus dem gewerblichen Sektor und der globalen Nachfrage bestimmt, der Geschäftsverlauf der Dienstleister zu einem größeren Teil vom heimischen privaten Verbrauch. Konsumausgaben der Haushalte stellen zu einem Großteil Ausgaben für Dienstleistungen dar. Diese sind auch in Krisenzeiten relativ stabil, denn ein Grundbedarf an Gesundheit, Bildung, Mobilität und so weiter wird immer gedeckt. Ausrüstungsinvestitionen von Unternehmen sind dagegen wesentlich konjunkturabhängiger und damit volatiler. In einem Abschwung kürzen Betriebe ihre Ausgaben drastisch: Sie schieben Ersatzinvestitionen auf und streichen Erweiterungspläne ganz.
Die deutsche Industrie ist zudem auf die Herstellung von Investitionsgütern wie Maschinen spezialisiert. Dies verstärkt die Abhängigkeit von der allgemeinen Konjunkturlage noch und beschleunigt den Strukturwandel in wirtschaftlichen Schwächeperioden zusätzlich.
So erhöhte sich in den letzten sechs Jahrzehnten in Abschwungphasen stets die Dynamik des Strukturwandels. Am schnellsten ging es in der Rezession. In Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs verlangsamte sich der Wandel dagegen. In manchen Aufschwungjahren gewann die Industrie konjunkturbedingt sogar leicht an Gewicht – allerdings immer nur temporär. Denn Industriebetriebe nutzen Krisen oft, um ihr Geschäftsmodell zu überdenken und zu verschlanken. Aufgaben jenseits der eigenen Kernkompetenzen übertragen sie an Dritte – häufig Dienstleister. Dadurch begrenzt die Industrie ihren Beitrag zur Wirtschaftsleistung dauerhaft, also auch im nächsten Aufschwung, und der Trend zur Tertiarisierung hält an und sei es nur rein statistisch durch den Ausgliederungsvorgang.
Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland mit fünf Rezessionen zu kämpfen. Das sinkende Bruttoinlandsprodukt (BIP) wirkte jeweils unterschiedlich stark auf die Wirtschaftsstruktur. Es lassen sich zwei Arten von Rezessionen differenzieren: Die wirtschaftlichen Rückgänge 1982 und 2003 hatten keine großen Auswirkungen auf den Strukturwandel; 1967, 1975 und 1993 beschleunigten sie den Wandel dagegen stark.
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