silicon.de: Ist es heute noch eine wirkungsvolle Business-Strategie, ein Open-Source-Produkt als Low-end-Verführung zu positionieren? Oder sind inzwischen viele Open-Source-Produkte so weit entwickelt, dass sie kein Einstiegs-Level mehr abgeben?

Augustin: Macht es Sinn für MySQL, das Gleiche zu können, was eine Oracle-Datenbank macht? Sollte MySQL ein Ersatz für Oracle sein? Nein. Der Wert vieler Open-Source-Produkte besteht darin, dass sie sich nicht als billiger Ersatz proprietärer Angebote positionieren. Open-Source-Produkte sind längst über das Einstiegsniveau hinaus, sie erfüllen höchste Anforderungen. Open Source sollte sich nicht als Kopie kommerzieller Lösungen verstehen, sondern als nächste Generation zur Nachfolge proprietärer Produkte.

MySQL ist dafür ein gutes Beispiel. Es entstand als schnelle, nicht überfrachtete Datenbank für Web-Applikationen, die preiswert und unkompliziert zu nutzen war. Vor MySQL haben Leute für ihre Web-Anwendung Flat-Files genutzt. Heute arbeitet jede Anwendung mit einer Datenbank. Es war MySQL, das dieses neue Parameter, wie Programmierer Applikationen entwickeln, herbeigeführt hat. Das hat in meinen Augen eine viel größere Auswirkung auf die IT-Industrie und den Markt gehabt als Oracle mit seiner Datenbank.

silicon.de: In den 90er Jahren bekamen Open-Source-Firmen mit dem Service- und -Support-Modell und auf der Infrastrukturebene Risikokapital und schafften erfolgreiche Börsengänge. Heute scheinen für das Risikokapital Firmen mit Open-Core-Strategie – Open-Source-Kern mit Closed-Source-Erweiterungen – interessanter zu sein. SugarCRM, Talend, Alfresco, Pentaho, Compiere, Jaspersoft sind außerdem Anbieter von Applikationen.

Augustin: Ja, diese Verlagerung illustriert schon ganz gut, wie sich Open Source durch den Stack hochentwickelt hat. Die heutige Open-Core-Strategie ist sehr populär und sehr erfolgreich. Aber es ist nicht die einzige, und ich bin auch nicht auf sie festgelegt. Ich bleibe lieber flexibel. Genau wie Technologien heranreifen, geschieht das auch mit den Business-Modellen. Was wir heute für das richtige Modell halten, mag morgen völlig falsch sein. Nach meiner Beobachtung bewegen sich die Firmen mit Hybrid-Strategie schon wieder zu einem offenerem Modell. Denn der offene Kern ihrer Produkte wird immer größer.

Wir befinden uns in einer frühen Phase einer Industrie. Wir lernen noch, wie wir am besten die Vorteile von Open Source auf viel breiterer Basis zur Geltung bringen können. Die Börsengänge von Red Hat und VALinux sind gerade zehn Jahre her. Was ist das schon in der IT-Geschichte? Es ist viel zu früh, um das heute erfolgreiche Hybrid-Modell für alle Zeit für sakrosankt zu erklären. Andere technische Ebenen, andere Technologien, schon kann ein Geschäftsmodell erfolgreich sein, von dem wir heute nicht einmal etwas ahnen.

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Silicon-Redaktion

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