Neue Normalität: Alles wird zum Verwechseln anders
Neue Normalität (New Normal) heißt die Sau, die von McKinsey seit dem Frühjahr durch die Wirtschaft und jetzt auch durch die IT gejagt wird. Eine erste Kurzerklärung aus dem Management von Computacenter (“Alles wird ein bisschen weniger”) scheint alle Vorurteile zu bestätigen: Aha, die Personalreduzierer raten zur nächsten Kündigungswelle. Nun, in den USA wurden schon viele Stellen weggeschwemmt und trotz mancher Lichtblicke kann das auch uns noch blühen.
Am besten kämen damit all jene Unternehmen zurande, die schon bisher auf Produktivität, Technologienutzung und Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen gesetzt hätten. So trivial diese Erkenntnisse sein mögen, so erklären sie hinreichend, warum sich die IT-Industrie – wie oben – weiterhin als Gewinner sieht, als “Teil der Lösung”. Neue Normalität mag hier bedeuten, dass die einstige High-Tech-Branche damit bei den Unternehmensberatern als “altmodisch” dasteht.
Da sich die IT-Industrie dennoch gern mit den von McKinsey ausgemachten Krisengewinnlern identifiziert, wird sie sich sicher für die praktischen Tipps der Berater interessieren:
- Kategorie Langweilig-seriös: Erfolg werden Manager haben, die verstehen was sich verändert hat und was geblieben ist, wie es war.
- Kategorie Unbelehrbar: Besonders erfolgreich können (oder auch nicht) Investoren sein, die besonders hohe Risiken eingehen.
- Kategorie Geld, Geld, Geld: Lukratives Wachstum gibt es nur noch in Asien, weil die US-Konsumenten kein Geld mehr haben (und man als US-Beratungsunternehmen über Europa nicht gern redet. Dort ist alles soooooo kompliziert)
Eine kleine Anmerkung zum US-Konsum aus der Kategorie Wirklichkeitsverdrängung: Das Geld wurde den Käufern laut McKinsey nicht durch die Immobilien-, Banken- und Wirtschaftskrise genommen. Nein, Nein. Vielmehr habe die USA in den vergangenen Jahren eine Sonderkonjunktur genossen, die von den geburtenstarken Jahrgängen (Baby-Boomer), den bis zu den kürzlichen Entlassungswellen zunehmend arbeitstätigen Frauen und den vielen gut verdienenden College-Abgänger getragen wurde.
Zum Schluss wird der McKinsey-Autor richtig unmoralisch moralinsauer (oder moralinsauer moralisch?). So warnt er vor einem drohenden Finanzprotektionismus – falls die Regeln der Neuen Normalität den bislang ungehemmten Finanzfluss zum jeweils lukrativsten Anlageort auf diesem Planeten bremsen würde. Damit so signalisiert sein hoch erhobener Zeigefinger, schade man vor allem dem Wachstum in den Entwicklungsländern – als hätten wir nicht gerade gelernt, wer an den globalen Finanzströmen verdient und wer daran verliert.
Aber lassen Sie uns utopisch enden: McKinsey hat herausgefunden, dass auch in der Neuen Normalität technologische Innovation stattfinden wird und das wachsende Wissen der Menschheit ihren Wert behält? Es wäre zu hoffen, denn bislang sieht der Ausblick auf die Neue Normalität irgendwie aus wie der Rückblick auf die Alte.
Hermann Gfaller
“silicons sillycom” besteht aus den bekannten IT-Journalisten Kriemhilde Klippstätter, Hermann Gfaller, Ludger Schmitz und Bernd Seidel. Jeweils freitags lassen sie die vergangene Woche Revue passieren.