Oracles Sun-Übernahme: Brüssel wird manipuliert
Auf die EU-Kommission prasseln derzeit besonders viele Briefe ein. Gegner wie Befürworter der Sun- und damit der MySQL-Übernahme durch Oracle greifen – auch wegen eines Hearings zu dem Thema – verstärkt zu Feder und Papier.
In einer Mail an silicon.de erklärte Mickos weiter: “Oracle hat sehr überzeugende und rationale Gründe, die dafür sprechen, Oracles Sache zu unterstützen. Auf der Gegenseite fehlen diese Beweise in meinen Augen. Die meisten Industrieexperten, MySQL-Anwender und Partner, die ich kenne, unterstützen daher die vollständige Übernahme von Sun durch Oracle.” Mickos glaubt, dass dadurch das Wachstum von MySQL bekräftigt werde.
Egal, was man von Wiedenius’ Aufruf halten mag, und es sei auch dahin gestellt, wie valide die vorgebrachten Argumente seien mögen. Dennoch macht es sicherlich – auch bei der Wettbewerbskommission – keinen besonders guten Eindruck, wenn Oracle auf Anwender hinwirkt und sich über Kunden in Brüssel für die eigene Sache stark macht; gesetzt, die Berichte entsprechen den Tatsachen. So mag sich mancher denken: Wenn die Argumente, wirklich so gut sind, wie sie in den Augen von Oracle sind, dann wäre diese Aktion überflüssig gewesen.
Lobby-Arbeit auf dem Rücken des Kunden? So soll die Mail aussehen, mit der Oralce zu einer kleinen Unterredung über die Sun-Übernahme einlud. Im Zuge des Gespräches soll Oracle Großkunden aufgefordert haben, in Briefen an die Kommission den Kauf gut zu heißen. Dabei soll auch der Inhalt des Schreibens mehr oder weniger diktiert worden sein. Text: “Sehr geehrter Herr …, unserem Unternehmen ist sehr daran gelegen, die Einstellung unserer wichtigen Kunden zur SUN Akquisition zu verstehen. Gerne möchten wir Ihre Sicht zu dieser Transaktion kennenlernen. Deswegen bittet Sie Herr Joakim Johansson – Director Corporate Development – aus unserem Headquarter in Redwood Shores um ein kurzes Telefonat von 10 bis 15 Minuten. […]”
Screenshot: Martin Schindler
Oracle hatte am 10. Dezember vor der EU-Kommission eine Anhörung zu dem Thema. Derzeit sind noch keine Details über diese Anhörung bekannt geworden. Jedoch scheint dem Hörensagen nach Oracle bereits bekannte Argumente ein weiteres Mal vorgetragen zu haben. Oracle erklärt, dass MySQL und Oracle-Datenbanken ganz andere Märkte adressieren. Außerdem gebe es neben Oracle und MySQL noch weitere Konkurrenzprodukte etwa von IBM oder Microsoft. Zudem sei kein Unternehmen in der Lage, den Open-Source-Code zu kontrollieren. Doch gerade den letzten Punkt bezweifeln Blog Experten. Denn gerade die GPL übergebe die Kontrolle des Codes dem Besitzer, der Anwender habe dann rechtlich das Nachsehen.
Nach wie vor ist unklar, wie sich die EU entscheidet, ob die durch die Kartellbehörde in den USA bereits genehmigte Übernahme ganz untersagt, oder an Bedingungen geknüpft wird. Für Sun ist die Situation in jedem Fall abträglich. Viele Anwender fürchten derzeit die Unsicherheit und halten daher Investitionen bei Sun Microsystems zurück.
Mit dem jüngsten Schritt, in dem sich Oracle bei MySQL zu einer Weiterentwicklung der Datenbank verpflichtet, könnte Oracle die Übernahme deutlich mehr beschleunigen als mit der Briefaktion. Wie Oracle über den Dienst Marketwire verbreiten lässt, sichert der Hersteller zu, auch künftig MySQL unter der GPL weiterzuentwicklen und auch künftige Versionen, Version 6 eingeschlossen, wieder unter dieser Lizenz zu veröffentlichen. Zudem wären Anwender nicht gezwungen, Support von Oracle zu beziehen. Außerdem wolle Oracle “in den nächsten drei Jahren mehr in die Entwicklung von MySQL investieren, als Sun seit der Übernahme”. Neben weiteren Zugeständnissen will Oracle zudem ein Advisoryboard installieren, in dem ausgewählte Anwender über die nächsten Entwicklungen befinden sollen.