Audrey und das Rätsel der verschwundenen IT, Teil 4
Welcher Apotheker hat es nötig, kundenfreundlich zu sein, selbst wenn er Chef-Pillendreher eines Softwarehauses ist? Besser gesagt war. Diesen und anderen existentiellen Fragen der IT geht diese Woche Sillycomer Bernd Seidel nach.
Was bisher geschah: Die Chef-Redaktion des IT-Nachrichtenmagazins “Blue” hatte mir den Auftrag erteilt, ein Interview mit dem Leiter eines Rechenzentrums zu führen. Die Überraschung: IT weg, Software weg, Server weg.
Verschwunden sind anscheinend auch zwei meiner Journalisten-Kollegen – investigative Spürnasen. Auf der Redaktionskonferenz bekomme ich Order, mich auf die Suche zu machen.
Der Auftrag weckt meinen Jagdinstinkt. Ich fühle mich wie ein Metallsplitter, der sich dem Magneten zuwenden muss. Alles andere ist ausgeschaltet, es gibt nur noch ein Ziel. Mein Blick schweift durch die Redaktionsrunde: Doc, Bertel, Mickey Monahan, der seine Ohren massiert und Isabel Meier, sie zupft sich die blonden Strähnen. Ich betrachtete die angespannten, kräftigen Schultern des Docs, starrende Augen, Brustkörbe, die Atemstillstand signalisierten, das Zucken an Monahans linkem Lid, die langen, starken Beine von Isabel, die langsam auf und nieder wippen, die leicht zerfurchten Hände von Bertel – und denke nichts.
Ein Gefühl wie beim Finale der Europameisterschaft 1976. Eine Fähre von Barcelona nach Mallorca. Ein Dutzend deutscher Fußballfans hockt im Fernsehraum und vernichtet viel zu kaltes San Miguel. Sie wollten den künftigen Europameister feiern. In der letzten Minute gelang Bernd Hölzenbein mit einem Kopfball nach der letzten Ecke des Spiels der Ausgleich zum 2:2 gegen die Tschechoslowakei. 30 Minuten Nachspielzeit heizten den Bierkonsum weiter an – brachten aber kein Ergebnis. Dann Elfmeterschießen. Rainer Bonhof, Heinz Flohe und Hannes Bongartz verwandeln. Es steht 3:4. Es wird totenstill auf Deck 4. Uli Bratwurst Hoeneß läuft an und … verschießt.
Fassungslosigkeit. Gestandene Mannsbilder brechen in Tränen aus – auf dem Spielfeld und im Fernsehraum. Die CSSR ist Europameister, die Zuschauer in Trance.
“Ok, ich leg dann mal los”, unterbrech ich die Stille. Die Fliege hat inzwischen ihren Ausbruchsversuch am Südfenster aufgegeben und macht sich über Kekskrümel am Boden her. Ich hieve mich aus dem schwarzen Freischwinger, greife in der Küche eine Tasse Kaffee ab, irgendwer hat die Neonröhren ausgetauscht und frisches Bohnengetränk aufgesetzt. Geht doch, denke ich. In meinem Büro reiße ich die Fenster auf. Sauerstoff. Mein Körper vibriert, die Bronchitis ist verflogen. Mein Puls hämmert bis in die Schläfen. Verdammt, das ist ein Engagement nach meinem Geschmack. Ich fühle mich wie ein Golf GTI mit Nitro-Einspritzung.