CeBIT 2010: Glamour und Kartoffelacker
Eigentlich verdient es die weltgrößte ITK-Messe an dieser Stelle ignoriert zu werden. Schließlich berichteten von Bravo (3D-Spiele) bis zu den Tagesthemen (Datenschutz) Horden von Kollegen über die aktuellen Trends und Produkte. Und auch bei silicon.de kann man in tausende CeBIT-Meldungen eintauchen, wie Dagobert Duck in seinen Taler-Reichtum.
Auch wenn also die Welt nicht wirklich um Hard- und Software kreist, die CeBIT bleibt wichtig, gerade auch als der derzeit allseits beklagte Bauchladen. Zugegeben, die Situation der weltweiten ITK-Leitmesse erscheint schwieriger als die der unangefochtenen Hannover Messe Industrie, die seit Jahrzehnten weltweite Beachtung findet. Anders als bei Schaufelbaggern gilt ein Handy dann als beeindruckend, wenn niemand den Computer, also die technische Komplexität darin, erahnt. ITK ist im Kern unsichtbar und daher schwer auszustellen. Zudem verfügt keine Branche über mehr Know-how, ihre Innovationen an der Messewirtschaft vorbei zu bewerben. Braucht da die Branche überhaupt noch einen physikalischen Treffpunkt? Ja, denn dort können Anwender direkt vergleichen und sich die Partner weltweiter Lieferketten kennenlernen und persönlich beschnuppern.
Das geforderte Ausmisten des Bauchladens würde die CeBIT in den gleichen Strudel ziehen, der schon die Münchner Systems in den Orkus gerissen hat. IT bleibt eine Querschnittstechnologie. Sie wird überall eingebaut – in Telefone, Messgeräte, Autos, Computerspiele, 3D-Filme, Musik-Geschäftsmodelle, Online-Warenhäuser wie Registrierkassen (sorry: Kassensysteme). Wer also verlangt, die CeBIT solle sich inhaltlich beschränken, der sperrt die größte und wichtigste ITK-Veranstaltung der Welt in eine künstliche und gefährliche Nische. Und von einem Nischenplayer kann man nicht erwarten, dass er eine Leitfunktion für die Branche übernimmt. Genau das aber muss die Aufgabe der weltgrößten ITK-Messe sein.
CES (Consumer-Elektronik in Las Vegas) und IFA (Rundfunk und Weiße Ware in Berlin) zeigen, wie Informationstechnik hübsch und bedienbar in Fernsehern und Kühlschränken Dienst tut, OOP (eine Entwicklermesse) und Embedded World zeigen wie sie hinein kommt. Auf der Mobile World in Barcelona wurde im Vorfeld der CeBIT darum gerungen, wer am besten das Geschäftsmodell des iPhones klont. All diese Veranstaltungen mögen der CeBIT Aussteller und Besucher abziehen. Aber es sollte sein, wie bei den Gaming-Meisterschaften: Die Endausscheidungen finden in der Hauptstadt der Branche statt – und das ist nach dem unrühmlichen Ableben der Comdex nunmal Hannover.
Die CeBIT sollte weithin leuchten und zwar mit allem was sowohl Fachbesucher interessieren könnte als auch Laien. Gerade die oft gescholtenen Consumer-Themen sind es, mit denen eine Messe es in die Tagesschau, in die Illustrierten und in die Netzdiskussionen schafft.
Ob eine Messe mitten zwischen niedersächsischen Kartoffelackern eine derartige Glamour-Rolle stemmt – wer weiß?
Hermann Gfaller
“silicons sillycom” besteht aus den bekannten IT-Journalisten Kriemhilde Klippstätter, Hermann Gfaller, Ludger Schmitz und Bernd Seidel. Jeweils freitags lassen sie die vergangene Woche Revue passieren oder kümmern sich um die ganz grundlegenden Dinge der IT.