Ihr glaubt wohl ich falle auf euch herein. Wie bei eurem jüngsten Coup: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Vorratsdatenspeicher den Keuschheitsgürtel angelegt. Die Beruhigungspille fürs gemeine Volk. Überwachungsfans regen sich auf, die liberale Front frohlockt – die Drahtzieher reiben sich die Hände. Alles Ablenkung, das ist gesteuert, um uns das Gefühl zu geben, wir hätten die Datenhoheit.
Der Bundes-Datenschutzbeauftragte ist da ganz auf meiner Linie: Private Datensammlungen großer Unternehmen sind sowieso schon viel genauer, umfangreicher und aussagekräftiger als das, was durch eine staatlich verordnete Speicherung erfasst wird. Die machen Vorratsdatenspeicherung par excellence.
Datenschutzbestimmungen in Deutschland und Europa müssten auch auf die privaten Datensammler angewandt werden, fordert der oberste Datenschützer. Wie gut, dass die Herrn IT-Bosse den nicht kennen. Taktisch ist das aber nicht schlecht eingefädelt: den Bodennebel ausnutzen, auf Sichtweite fahren und das Ganze dann in die Cloud verlagern. Strafverschickung. Da blickt dann keiner mehr durch.
Der Zug hält im Tunnel zwischen Fraunhofer Straße und Sendlinger Tor. Nächste muss ich raus. Ein Ruck, die Bahn beschleunigt und bremst jäh. Tür auf, raus, die Rolltreppen nach oben – ich brauche frische Luft.
Knock, knock, knockin’ on heavens door – die schrille Stimme eines Barden durchflutet das Zwischengeschoss. Bei null Grad keine schlechte Leistung. Ich werf’ ihm ‘nen Euro in den Klampfenkoffer und schieb’ mich weiter Richtung Ausgang Sendlinger Straße. Die kühle Nachmittagsluft kitzelt meine Bronchien. Ich greife mir die Süddeutsche Zeitung aus einem Aufsteller ab. Ich latsche rein zu Bodo, bestelle Cappuccino und genehmige mir Prinzregententorte – mit Sahne.
Die Ratio hat mich wieder. Wo mache ich mit meinen Recherchen weiter, wer ist die Verbindung? Wer sind die Drahtzieher? Das World Economic Forum ist gelaufen – da waren sie bestimmt auch. Was für ein Tag, mir reicht’s für heute. Ich schlage zur Zerstreuung Seite 10 auf, die bunte Seite. Sandra Bullock hat die goldene Himbeere bekommen – und den Oscar, mehr Ruhm geht nicht. Ich lasse Hollywood links liegen, denn eine kleine Meldung unten rechts auf der Seite zieht mich magisch an: Ein 25-Jähriger aus der Karibik hatte Liebeskummer, weil seine Freundin in London mit ihm Schluss gemacht hatte. Als der Mann im Online-Profil seiner Ex sah, dass die einen neuen Freund hatte, stieg er ins Flugzeug und brachte die Frau um. 20 Messerstiche…
Ich muss diesen Wahnsinn stoppen.
“silicons sillycom” besteht aus den bekannten IT-Journalisten Kriemhilde Klippstätter, Hermann Gfaller, Ludger Schmitz und Bernd Seidel. Jeweils freitags lassen sie die vergangene Woche Revue passieren oder kümmern sich um die ganz grundlegenden Dinge der IT.
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