Audrey und das Rätsel der verschwundenen IT, Teil 6
Was bisher geschah: Die Chefredaktion des IT-Nachrichtenmagazins “Blue” hat mir den Auftrag erteilt, dem Verschwinden der IT auf den Grund zu gehen. Bei meinen Recherchen komme ich nicht weiter: Einer meiner Journalisten-Kollegen – eine investigative Spürnase – ist ebenfalls verschwunden, ein zweiter erschossen worden.
Anstatt mich lange hin und her zu wälzen und Schäfchen zu zählen, falte ich mich auseinander und gleite über die Kante geräuschlos aus dem Bett. Baldriantee hilft bei Schlaflosigkeit und Unruhezuständen, stand mal in einer Apotheken-Zeitung. Ich setze Teewasser auf, schnappe den Laptop meines Sohnes und bleibe an Nachrichtenfetzen hängen. “Sicherheitslücke im neuen Browser”, “15 Tote nach einem Terroranschlag” – trotz massiver Überwachungstechnik. Die Headlines sind das Schlüsselloch zu den täglichen Horrorstorys. “Die Industrialisierung der IT steckt erst am Anfang, weckt aber hohe Erwartungen”, lautet der Aufmacher eines Newsportals. Die Frage ist nur, wessen Wünsche sie erfüllt.
Jetzt eine rauchen, schießt es mir durchs Hirn. Ist zwar schon über 20 Jahre her, aber einmal Raucher, immer Raucher hat meine Mutter schon gesagt. Die muss es wissen. Ich gönne mir stattdessen lieber einen kräftigen Schluck Tee und klappe den Rechner zu – Standby. Wo steckt AK 47, wer hat Unix umgenietet? An welcher Story sind die beiden dran? In der Küche ist es kalt, ab zwei Uhr Nachts fahren die Stadtwerke die Temperatur der Fernwärme runter – hat wahrscheinlich ein Programm so berechnet und nicht berücksichtigt, dass ich noch wach sein könnte.
Aber ein Hund ist er schon, wie die Bayern sagen, der AK 47. Sein bürgerlicher Name ist Andreas Stifter. Er war so was wie der Günter Wallraff unter den IT-Journalisten. Hat in den Neunzigern diverse Pannen und Sauereien von EDV-Firmen ausgehoben. Schadhafte Software, die absichtlich verkauft wurde, um dann mit Service Millionen abzukassieren. Pannen beim Hosting, Millionen verlorener E-Mails und Kundendaten, die dann ganz zufällig auf einer CD am Frankfurter Flughafen auftauchten – anscheinend bereits mehrfach kopiert. Geschichten gab’s genug – damals bekam er seinen Spitznamen.
Anfang 2000 schleuste er sich als Entwicklungsmaulwurf in ein Heidelberger Softwarehaus ein und deckte auf, wie Standards vorsätzlich missachtet wurden, um die Bande zwischen Kunden und Hersteller zu festigen – man könnte es auch Abhängigkeit nennen. Die Informationen spielte er einer Hand voll Journalisten zu, für die es ein gefundenes Fressen war – für kurze Zeit wenigstens. Einer der Schmierfinken schien von Quellenschutz nichts wissen zu wollen – AK 47 flog auf und wanderte wegen Industriespionage für drei Jahre ins Gefängnis. Der Name des Sängers tauchte auf keiner Chartliste auf.
Stifters Memoiren wollte dann aber doch keiner mehr drucken. Es wurde still um ihn. Nach seiner Zeit im Knast, arbeitete er als freier Journalist, mit angeblichen Kontakten zur gewaltbereiten linken Szene in Deutschland. Kollegen behaupteten zuletzt, dass er an einer großen Sache dran sei. Wäre er so blöd, seine Pläne auf den Anrufbeantworter zu quatschen? Niemals. Jedenfalls ist er verschwunden und besessen von der Idee: IT ist fürs Volk die Droge der Neuzeit. Ich ruf ihn Montag nochmal an.
Leichter Druck steigt in meinem Nacken auf – das gibt Kopfschmerzen. Hey, entspann dich, morgen ist ein neuer Tag, sage ich mir. Ich beschließe, nichts zu tun und lege mich wieder hin.