Greift Steve Jobs Open Source an?
Schlagabtausch zwischen dem Apple-Boss und dem französischen Koordinator der Free Software Foundation Europe: Jobs kündigt Patentpool zur Verfolgung von quelloffenen Codecs an.
Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, auf die Jobs hier anspielen könnte: Den offenen Codec HTML5 unterstützt auch Apple; große Hoffnungen richten sich auf Version 7. Solange die nicht marktreif ist, gilt VP8 als ein Codec, der Theora überlegen und H.264 zumindest ebenbürtig ist. VP8 ist auch proprietär. Google hat dessen Erfinder On2 im vergangenen Jahr übernommen und alle Welt erwartet, dass Google den Codec Open Source stellt. Vielleicht will Steve Jobs seinen Hauptgegner Google (iPhone versus Android) einschüchtern, ihn davon abbringen. Er dürfte die technische Stärke von VP8 kennen. Ein kostenloser Open-Source-Codec dieses Schlages könnte Apples Geschäft beschädigen, indem es Andriod attraktiver macht.
Zum dritten Satz von Steve Jobs: Er hat Recht, beschreibt aber eine banale Erkenntnis. Jeder, auch jeder in den so genannten Communities, weiß, dass Freie oder Open-Source-Software niemals dagegen gefeit ist, Patente zu verletzen. Ebenso wenig wie Closed-Source-Programme. Alle Entwickler stehen vor dem Problem, dass sie mit ihren Erzeugnissen unbewusst ihnen unbekannte Patente verletzen können. Das gilt insbesondere, wenn nachträglich Patente eingereicht und bewilligt werden, möglichst banaler und breiter Art wie beim berühmten Fortschrittsbalken. In Europa sind die Patentregeln enger als in den USA, aber auch auf dem “alten Kontinent” gibt es Bestrebungen zu rigoroserer Verfolgen von Verletzungen. Stichwort ACTA. Eigentlich sind Softwarepatente das Problem der Software-Anbieter. Apple und Steve Jobs haben als große Patenthalter dieses Problem nicht. Die Großen halten sich gegenseitig in Schach, wie der Ex-Sun-Chef Jonathan Schwartz beschrieben hat.
Schließlich erklärt Jobs, dass offene Standards nicht kostenlos oder Open Source sein müssen. Richtig; aber was macht offene Standards aus? In der Telekom-Industrie reicht ein von internationalen Gremien verabschiedetes Verfahren, das gut dokumentiert, aber nicht unbedingt kostenlos oder patentfrei sein muss. In der Software-Industrie ist die Definition schon erheblich umstrittener, wie ein Blick in Wikipedia zeigt. In Europa haben sich die Regierungen auf die herzlich vage Definition im European Interoperability Framework festgelegt. Und momentan sprechen alle Anzeichen für eine weitere Aufweichung des Begriffs Offenheit.
Es ist schwer zu sagen, was Steve Jobs mit seiner E-Mail eigentlich beabsichtigt hat. Immerhin hat er gezeigt, dass er ein Problem mit Offenheit hat, obwohl MacOS auf Open Source aufbaut und Apple einiges zu Open Source beigetragen hat. Apple hat es offenbar gar nicht nötig, sich in der Open-Source-Welt Freunde zu schaffen. Andernorts laufen die Geschäfte auch mehr als gut genug. Ob gegen einen bedeutenden Teil der IT-Szene zu agieren, auf Dauer ein tragbares Business-Modell ist, muss sich noch zeigen.
Ludger Schmitz
ist freiberuflicher Journalist in München.