Audrey und die verschwundene IT, Teil 7
Was bisher geschah: Die Chefredaktion des IT-Nachrichtenmagazins “Blue” erteilte mir den Auftrag, dem Verschwinden der IT auf den Grund zu gehen. In der Redaktion komme ich durch die ständigen Ablenkungen mit meinen Recherchen nicht weiter. Ich beschließe, den Tag in den Bergen ausklingen zu lassen, Ich löse meinen Rechner vom USB-Hub, stecke das Moleskine in die Jackentasche, knipse das Licht aus und verschwinde durchs Treppenhaus.
Sie hatten ihn mit Kabelbindern auf einer schmalen, kalten Pritsche gefesselt. Ein straff gespannter Gurt verlief über seinen Brustkorb – gerade so locker, dass er atmen konnte. Er lag auf dem Rücken. Die Hände hatten sie zu beiden Seiten an das Stahlgestell fixiert. Sein Kopf befand sich tiefer als der restliche Körper. In den Schläfen spürte er sein Herz pochen.
Den Versuch sich loszumachen, hatte er aufgegeben. Er war wach, aber hielt die Augen geschlossen, denn um ihn herum war es dunkel. Er wusste nicht, ob es Tag war oder Nacht. Wie lange er hier schon lag wusste er auch nicht. Ein paar Tage bestimmt. Er hatte das Gefühl für die Zeit verloren. Im Herbst 2009 hatten sie ihn auf dem Weg zu einer Konferenz nach Kairo abgefangen. “IT-Services 2010 – Trends und Strategien in globalen Märkten” lautete der Titel der Veranstaltung. Die Regierung Ägyptens brachte seit einigen Jahren die führenden und kommenden IT-Nationen zu einer Herbsttagung in der Nil-Metropole zusammen. Lobbyarbeit. Indien, China, Russland, halb Osteuropa und Ägypten selbst setzten sich dort als aufsteigende IT-Standorte in Szene.
Er kannte die Männer nicht, die ihn überwältigt hatten. Er erinnerte sich nur an einen indisch aussehenden, gut gekleideten Geschäftsmann, der direkt vor ihm gestanden hatte und mit einem Kollegen heftig debattierte, warum der um die Uhrzeit schon Schnaps trinken muss. Vielleicht war auch ein Amerikaner dabei gewesen, zumindest später im Auto. Denn einmal konnte er ein paar Wortfetzen auffangen – die Kopfhörer, die ihn taub stellen sollten, waren verrutscht.
Die Festnahme hatte nicht länger als zwei Sekunden gedauert. Sofort stülpten sie ihm einen dunklen Sack über die Augen, dann brach er zusammen. Der Stoff war mit einem Narkotikum versetzt, da war er sich sicher. Er kannte den bitteren Geruch von seiner Zeit als er bei der Armee war. Isofluran. Baxter Healthcare hatte auf den Flaschen mit der violetten Flüssigkeit gestanden. Er arbeitete damals im Lazarett im Grenzgebiet nach Pakistan, dort lag der Geruch schwer in den Zelten der medizinischen Abteilung.
Seine Zelle war klimatisiert, soviel war klar, denn die Temperatur war konstant. Vom Flur näherten sich rasch Schritte. Die Tür flog auf, Licht blitzte. Die Helligkeit brannte selbst durch die geschlossenen Augen. Das Licht erlosch wieder, bevor er sich daran gewöhnen konnte. Zwei starke Hände hielten seinen Kopf fest, sie rochen nach kaltem Rauch. Ein anderes Paar befestigte ein Tuch über Augen, Mund und Nase. Er war blind, bekam mit etwas Anstrengung aber ausreichend Luft durch das Tuch. Die Pritsche wurde am Fußende weiter angehoben. Panik stieg ich ihm auf. Ganz ruhig bleiben, dachte er. Ihm war jetzt klar, was sie mit ihm vorhatten.
“Zum letzten Mal. Was hast du der Schlampe gesagt?” Die Stimme kannte er nicht, könnte aber einer der beiden vom Flughafen gewesen sein. “Wenn Du was zu sagen hast, gib uns ein Zeichen mit dem rechten Fuß – solange du es noch kannst.”
Die Ladung eiskaltes Wasser, die sie über ihn gossen, war wie der Sprung in ein Eiswasserloch nach der Sauna – nur blind und gefesselt. Sein Herz raste, die Atmung beschleunigte sich. Er versuchte ruhig weiter zu atmen. Er kannte die Methode, weil er sie einige Male selbst angewendet hatte, in den Camps im Grenzgebiet zu Afghanistan, vor über zwanzig Jahren. Waterboarding. Sie hatten damals den CIA unterstützt, die verzweifelt versuchten, aus kommunistischen Überläufern Informationen herauszupressen. Junge Männer, fast noch Kinder, die nach Luft rangen, als er ihnen tröpfchenweise Wasser über das Tuch goss, das ihren Mund und die Nase bedeckte. Damals spürte er ihre Todesangst. Sie hatten Angst zu ersticken und sagten alles, was die Agenten hören wollten.
Soweit war er noch nicht. Sein Kopf befand sich weit unterhalb des Körpers, das verhindert, das Wasser in die Lungen eindringt und er ertrinkt. Hatten sie das übersehen, wussten sie es nicht besser oder war es Teil ihres Plans? So kann ich es jedenfalls stundenlang aushalten, dachte er, wenn ich nur ruhig weiteratme. So viel wusste er. Sie träufelten ihm weiter Wasser über das Tuch – mindestens zweidutzendmal. Sein rechter Fuß blieb ruhig.