Audrey und die verschwundene IT, Teil 7
Was bisher geschah: Die Chefredaktion des IT-Nachrichtenmagazins “Blue” erteilte mir den Auftrag, dem Verschwinden der IT auf den Grund zu gehen. In der Redaktion komme ich durch die ständigen Ablenkungen mit meinen Recherchen nicht weiter. Ich beschließe, den Tag in den Bergen ausklingen zu lassen, Ich löse meinen Rechner vom USB-Hub, stecke das Moleskine in die Jackentasche, knipse das Licht aus und verschwinde durchs Treppenhaus.
Ein leichter Luftzug umspielte seine feuchte, nackte Haut. Die Tür war geöffnet worden. Die Männer tuschelten, er spürte, dass sie sich von der Pritsche entfernt hatten.
“Ok, alle raus hier.” Ein Männerstimme in astreinem kalifornischen Westküsten-Slang durchschnitt die Stille. Er kannte die Stimme. Steven Boyer, du Schwein hast mich verraten, durchfuhr es ihn. Die ganzen Jahre hast du mich an der Nase herumgeführt, warst einer meiner besten Freunde und Lieblingskollegen. Du arbeitest für SIE. Schmerz schoss in seinen Brustkorb, Angst und Wut hämmerten am Solar Plexus, seine Gedärme zogen sich zusammen, sich fühlten sich an, wie von einem schweren Stein in den Abgrund gerissen. Er verlor den Grund und stürzte in eine unendliche Tiefe.
Eine geraume Zeit blieb Boyer in sicherer Entfernung stehen. Er konnte ihn riechen. Er hasste diesen Geruch. Zu orientalisch und aufdringlich war der Duft des Eau de Toilette für einen Surfer im unschuldigen Beach-Boy-Look. Er hörte ihn gleichmäßig und ruhig atmen. “Ranjan, Ranjan. Mein lieber Freund, was sollen wir nur mit dir machen? Wenn du uns nicht sagen willst, was deine kleine schwedische Freundin Anderson über weiß, dann bringen wir erst sie um und dann dich. Nacheinander – in einem Raum. Die offizielle Version wird dann wie folgt lauten: “Indischer Geschäftsmann mit seiner Geliebter tödlich verunglückt.” Deiner Familie und vor allem deiner Frau wird das bestimmt gefallen.”
Ranjan Batnai hasste die Stimme. Er war bereit auszupacken und bewegte seinen rechten Fuß heftig. Das Zeichen, dass er reden will. Das ist mein Todesurteil, dachte er, aber vielleicht lässt Boyer wenigstens Audrey am Leben, wenn ich ihn überzeugen kann, dass sie keinen blassen Schimmer von Existenz der Molinari hat. Steven Boyer hatte die Fußbewegung wahr genommen, trat an die Pritsche heran und riss das feuchte Tuch mit einem kräftigen Ruck von Ranjans Gesicht.
Mit einem Lächeln schob er sich einen Stuhl dicht an Pritsche, setzte sich und zündete sich eine Zigarette an. “Willst du auch mal, wie in alten Zeiten – auf die Freudschaft.” Er hielt dem gefesselten die Kippe hin. Der schüttelte den Kopf. Hätte ich nur einen Arm frei, dachte Ranjan, ich würde das Schwein erwürgen. Erst blitzschnell in die Augen stechen und dann den Kehlkopf zerquetschen – die Kraft hatte, den Hass dafür auch.
“Was willst Du wissen”, die Stimme von Ranjan war brüchig. “Was weiß dein blonder Schwedenhappen von der Organisation? Du hast genau eine Chance.” Genüsslich saugte Boyer an der Zigarette. Die Kälte des kondensierenden Wassers, lähmte Ranjans Kiefer. “Nichts. Ich habe ihr nie etwas von den Molinari erzählt. Ich habe sie nur bei den jährlichen Konferenzen in Kairo gesehen.”
Das war die Wahrheit. Ranjan hatte Audrey Anderson vor einigen Jahren auf der ersten IT-Konferenz in Kairo kennengelernt. Er hatte sich sofort in sie verliebt. Audrey war als Referatsleiterin des schwedischen Wirtschaftministeriums in Kairo. Ihr Themengebiet: IT und Gesellschaft. Sie hatte höchste Kontakte in die Politik und Wirtschaft und war dem Minister direkt unterstellt.
Ranjan vertraute ihr. Sie führten stundenlange Gespräche, saßen auf der Terrasse ihres Hotelzimmers über den Dächern im Herzen Kairos. Sie lachten viel und tranken Rotwein. Mehr nicht. Ranjan hat Frau und einen Sohn, mit denen er in Shikaripalya rund 20 Kilometer südöstlich von Bangalore lebt. Ein einziges Mal ist er schwach geworden. Während der letzten Konferenz hatte er Audrey gestanden, dass er sie liebt.
Ranjan schnappte nach Luft. Er fror, seine Haut war nass, die Klimaanlage verrichtete ihren Job. 18 Grad, höchstens. “Nichts?” Boyer verzog das Gesicht. “Falsche Antwort. Mein Freund.” Er sprang auf, seine Zigarette fiel zu Boden, mit der Rechten riss er eine Pistole aus dem Schulterhalfter, die Linke nestelte in der Jackentasche. Ein Schalldämpfer. Ranjan erkannte die Pistole, eine Heckler & Koch USP Tactical, Halbautomatik, 9 Millimeter. Als Boyer den Schalldämpfer aufschraubte, wendete er sein Gesicht ab. Ranjan ließ ihn nicht aus den Augen. “Schau mir in Augen, wenn Du mich erschießt. Das hast du bei den vielen anderen doch auch so gemacht. Es war immer ein Vergnügen für dich, die Angst in den Gesichtern zu sehen. Mein Freund.” Ranjans Stimme hatte ihre Kraft zurück.
“silicons sillycom” besteht aus den bekannten IT-Journalisten Kriemhilde Klippstätter, Hermann Gfaller, Ludger Schmitz und Bernd Seidel. Jeweils freitags lassen sie die vergangene Woche Revue passieren oder kümmern sich um die ganz grundlegenden Dinge der IT. Auch im Grenzgebiet nach Pakistan.