Konservative Wende in der IT-Politik gestoppt?
Noch Anfang dieses Jahres musste man sich Sorgen machen über Anzeichen einer Abkehr der öffentlichen Verwaltung von offenen Schnittstellen und Standards, auf europäischer wie auf bundesdeutscher Ebene. Jetzt aber mehren sich Stellungnahmen maßgeblicher politischer Kräfte, die Offenheit wieder in das Zentrum der IT-politischen Orientierung rücken.
Maizière bringt also drei zentrale Argumente gegen proprietäre IT-Systeme in der öffentlichen Verwaltung: Offene Standards, Plattformunabhängigkeit und Transparenz. Das vierte Argument, das der Kosten, liefert er eine These zuvor: “Der weitere Ausbau elektronischer Behördendienste muss genutzt werden, um Einspar- und Optimierungspotenziale auszuschöpfen.”
Von diesem Ausbau elektronischer Behördendienste dürften sich deutsche Anbieter einiges versprechen. Denn in der These 11 erklärt Maizière: “Für die Wahrung der technologischen Souveränität des Staates ist es erforderlich, dass er nationale Kernkompetenzen erhält und fördert. Hierzu braucht unser Land Forscher und Unternehmer, die strategische IT- und Internetkompetenzen erhalten und ausbauen. Ohne eine starke eigene IT-Industrie geraten wir in Abhängigkeiten, die unsere Freiheiten und unsere Verfassungsidentität gefährden können.” Die deutschen Open-Source-Anbieter, die sich, so Elmar Geese, Vorsitzender des Linux-Verbands, als “der dynamischste und innovativste Teil der deutschen IT-Industrie” sehen, dürften das als Ermunterung verstehen.
Keine zwei Wochen nach Maizière meldete sich die IT-Beauftragte der Bundesregierung, Cornelia Rogall-Grothe, auch “Bundes-CIO” genannt. Bisher hat sie sich in der Öffentlichkeit sehr zurückgehalten, weil sie, seit Februar dieses Jahres im Amt, sich zunächst einarbeiten wollte. Doch jetzt hat die Fachzeitschrift “c’t” des Heise-Verlags ein Interview mit der Bundes-CIO erhalten. Es findet sich in der aktuellen Ausgabe 15/2010.
In dem Interview benutzt Rogall-Grothe eindeutige Formulierungen, die keine Interpretation zulassen. “Offene IT-Standards spielen eine sehr große Rolle, weil wir meinen, dass mit offenen IT-Standards ein Höchstmaß an Interoperabilität zu erreichen ist.” Die öffentliche Verwaltung könne “nur mit offenen Standards weitestgehende Herstellerunabhängigkeit erreichen und damit Risiken vermeiden”. Dieser Aspekt sei in Hinblick auf die Bürger wichtig, “weil wir niemanden zum Kauf bestimmter Produkte nötigen wollen, nur damit er mit den Behörden elektronisch kommunizieren kann”.
Für offenen Standards nennt Rogall-Grothe Bedingungen: “Wir möchten, dass diese vollständig publiziert sind und uneingeschränkt genutzt werden können, und zwar dauerhaft.” Ferner sei es wichtig, “dass eine Nutzung von Spezifikationen nicht durch Urheberrechte oder lizenzrechtliche Bestimmungen eingeschränkt wird und der Standard am Markt etabliert und damit voraussichtlich auch stabil ist”.