Die unbekannten Treiber des Cloud-Hypes

Gartner-Deutschlandchef Martin Gutberlet erläutert im Exklusiv-Interview mit silicon.de, warum die meisten Anbieter das Thema Cloud Computing noch gar nicht verstanden haben und der Oracle/Sun-Deal die Anwender in die Wolke treibt.

silicon.de: Microsoft aber zum Beispiel behauptet, die Anwender stürzen sich geradezu auf das Cloud-Angebot Azure…

Martin Gutberlet: Natürlich sagt Microsoft, Cloud Computing kommt großartig und schnell. Das stimmt aber de facto nicht. Azure ist ein spannendes Produkt, hinter dem ein echtes Cloud-Computing-Prinzip steht. Aber das ist eine Plattform, die im Rahmen von ersten Testläufern ausprobiert wird und bei ersten Unternehmen auf Interesse stößt. Aber da kann man doch nicht von Reifegrad und Marktdurchdringung sprechen.

silicon.de: Nichtsdestotrotz glauben Sie und Gartner daran, dass Cloud Computing ein Schlüsselthema für die IT-Industrie ist. Warum?

Martin Gutberlet: 2009 habe ich einen Automobil-Hersteller besucht, der komplett in Kurzarbeit war und dort den verantwortlichen CIO getroffen. Er hat mir sein Leid geklagt: Die Firma könne Produktionsbänder stilllegen, die Mitarbeiter nach Hause schicken – nur in der IT-Abteilung funktioniere das nicht. Dort sei nach wie vor eine bestimmt Anzahl von Mitarbeitern notwendig, um den IT-Ablauf zu gewährleisten.

Die IT-Organisation ist also nicht dynamisch genug, um sie an die Strukturen des Geschäftsumfeldes zu koppeln. Eine schwierige Situation für den CIO: Er geriet unter Druck, weil er keine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken konnte.

Vor diesem Hintergrund hören IT-Manager vom Thema Cloud und sehen eine Chance für mehr Flexibilität. Sie glauben an diese Idee – investieren aber noch nichts in entsprechende Lösungen, weil diese noch nicht ausgereift sind.

silicon.de: Abgesehen vom Reifegrad – welche Faktoren könnten den Cloud-Trend noch beeinflussen?

Martin Gutberlet: Da gibt es einen interessanten Aspekt, der derzeit noch kaum öffentlich diskutiert wird: Denn durch die Übernahme von Sun ist Oracle nun auch Anbieter von Suns Server-Hardware inklusive dem Betriebssystem Solaris geworden. Es gibt aber eine Vielzahl von SAP-Applikationen, die genau auf Sun-Solaris-Hardware laufen.

Dementsprechend gibt es aktuell eine Vielzahl von Unternehmen, die überlegen, auf welcher Plattform sie in Zukunft ihr SAP-System laufen lassen. Sie fürchten, dass Oracle entsprechende Infrastrukturen künftig nicht mehr ausreichend unterstützt. An dieser Stelle folgt in vielen Fällen eine Diskussion über das Betriebssystem, die oft in der Überlegung mündet, ob es nicht sinnvoller ist eine Cloud zu nutzen.

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