Mehr Job-Chancen durch anonyme Bewerbungen?

Ein Thema, das die silicon.de-Lesern stark diskutieren, ist die Diskriminierung bei der Jobsuche – so in den Kommentaren zum Artikel ‘Zu alt, zu teuer – erfahrene Fachkräfte kaum nachgefragt‘. Die Deutsche Telekom und vier andere Unternehmen testen jetzt die ‘anonyme Bewerbung’, die der Diskriminierung bei Bewerbungen einen Riegel vorschieben soll.

Koordiniert wird das Projekt von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Neben der Telekom nehmen die Deutsche Post, L’Oréal, Procter & Gamble und der Online-Shop Mydays teil. Auch das Bundesfamilienministerium und das nordrhein-westfälische Integrationsministerium machen mit.

Die Unternehmen und Behörden akzeptieren ab Herbst ein Jahr lang nur noch anonyme Bewerbungen ohne Angaben zu Nationalität, Alter, Geschlecht, Familienstand oder Name. So sollen allein die Leistung und Qualifikation für einen Bewerber entscheiden. Ähnliche Modellprojekte laufen derzeit auch in Frankreich und der Schweiz. In den USA sind teilweise anonymisierte Bewerbungen üblich – die Namen der Kandidaten werden jedoch weiterhin genannt.

Hintergrund des Projektes sind Studien wie Ethnic Discrimination in Germany’s Labour Market: A Field Experiment, die die Universität Konstanz und das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) vorgelegt hat. Die Forscher hatten in einem Versuch 1000 Bewerbungen auf Praktikumsstellen für Wirtschaftsstudenten verschickt. Dazu verwendeten sie inhaltlich gleichwertige Bewerbungsunterlagen, denen per Zufall ein Name eindeutig deutscher oder türkischer Herkunft zugeordnet wurde. Die fiktiven Bewerber hatten nicht nur vergleichbare Qualifikationen und Fähigkeiten, sondern waren zudem ausnahmslos deutsche Staatsbürger und Muttersprachler. Das Ergebnis: Bewerber mit türkischen Namen erhielten insgesamt 14 Prozent weniger positive Antworten.

In kleineren Unternehmen war die Ungleichbehandlung noch ausgeprägter: Hier hatten Bewerber mit türkisch klingenden Namen trotz gleicher Qualifikation eine um 24 Prozent geringere Chance auf ein Vorstellungsgespräch. Die Studienautoren führten diese Diskrepanz darauf zurück, dass Großunternehmen häufiger standardisierte Verfahren mit weniger Raum für subjektive Einschätzungen nutzen.

Das IZA wird das Pilotprojekt zur anonymen Bewerbung wissenschaftlich begleiten. Die Wissenschaftler empfehlen unter anderem, ein standardisiertes Bewerbungsformular zu entwerfen, um den Zeitaufwand für das Anonymisieren herkömmlicher Bewerbungen gering zu halten. Das Formular soll nur Informationen zu den relevanten Qualifikationen enthalten und den Bewerbern auf geeignete Weise zur Verfügung gestellt werden, hieß es. Bei Online-Bewerbungen solle eine entsprechende Anpassung der Eingabemaske ausreichen.

Wirtschaftsverbände und Personalmanager lehnen die anonyme Bewerbung mehrheitlich ab. “Ich halte von dieser Idee äußerst wenig”, sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt dem Hamburger Abendblatt. Die Pläne seien in der Praxis schwer umsetzbar. “Der Aufwand, um neue Stellen zu besetzen, wird wesentlich größer. Allein die Zahl der Gespräche mit Bewerbern, die nach der ersten anonymen Bewertungsphase folgen müssten, würde steigen”, so Hundt.