silicon.de: Welches Ergebnis Ihrer Untersuchung hat Sie selbst am meisten überrascht?
Dr. Baurschmid: Der Großteil der CIOs plante die Karriere nicht zielorientiert auf diese spezifische Position hin, sondern agierte chancenorientiert, was als “Test- und Lern-Ansatz” zu bezeichnen ist. Einige CIOs folgen dem Credo: “Travailler pour le Roi de Prusse” – was übertragen nichts anderes bedeutet, als eine Sache idealistisch um ihrer selbst willen zu unternehmen, ohne in erster Linie auf die zu erwartende Belohnung zu sehen. Anders als bei einem “Planungs- und Implementierungsansatz” werden die Steuerungsfähigkeit des Karriereverlaufs und die Beeinflussungsbemühungen anders eingeschätzt.
Die CIOs sehen, aufgrund der Einzigartigkeit der Position, sich selbst in der verantwortlichen Rolle, ihre Karriere zu entwickeln. Für die Profession gibt es nahezu keine speziellen Führungskräfteentwicklungsprogramme und selten Nachfolgeregelungen, Karrieresystematiken oder ‘nominating committees’. Der Einsatz von Karrieresystemen ist jeweils sehr stark vom Reifegrad der Organisation abhängig. Eine eindeutige Erwartungshaltung an die Position mit klar definierten Verantwortlichkeiten und messbaren Erfolgskriterien sollte bereits vor dem Stellenantritt schriftlich dokumentiert sein.
silicon.de: Welche Empfehlungen lassen sich möglicherweise für IT-Profis ableiten, die es auf der Karriereleiter bis zum CIO schaffen wollen?
Dr. Baurschmid: Karriereratgeber-Literatur kann nur einen ersten Schritt darstellen, dennoch ist für die CIO-Position der Mehrwert sicherlich eingeschränkt. Es bedarf immer einer individuellen Situationsanalyse, bei der sowohl die persönliche Ausgangssituation zu identifizieren, als auch die möglichen Stellenangebote genau abzuwägen sind. Die im Rahmen der Dissertation entwickelte Coaching-Landkarte hilft den Personen, die eine CIO-Karriere verfolgen oder eine solche planen, sie dabei zu unterstützen und karriererelevante Aspekte detailliert im situationsspezifischen Kontext zu analysieren und entsprechende Handlungsoptionen zu identifizieren.
Wobei es dabei aber weniger um eine allgemeine Theoretisierung als vielmehr um eine Schärfung der wahrnehmenden Sinne und eine regelmäßige Infragestellung der eigenen habituellen Denk- und Verhaltensweisen geht. Das so was immer nur sehr begrenzt alleine funktioniert, liegt an der Abhängigkeit der persönlichen Vorerfahrung, den Interessen und subjektiven Vorstellungen des individuellen Wahrnehmungsapparats. Ein akzeptierter Sparringspartner kann bei einer solchen notwendigen Reflexion sehr hilfreich sein.
Um es unmissverständlich auszudrücken, im Rahmen dieser Arbeit sollte es nicht die Empfehlung sein, die eigene Karriere ohne eine Zielsetzung oder ohne eine gewisse Planung voranzutreiben. Dennoch sollte man sich von den unvermeidlichen Unwegsamkeiten (“Faktor Zufall”) bewusst sein und sich eine Flexibilität wahren, Abweichungen zu tolerieren und seine Beobachtungsfähigkeit so zu entwickeln, dass der Möglichkeitssinn zur Findung unerwarteter beziehungsweise ungeplanter Wege gefördert wird.
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