silicon.de: Ihre Dissertation trägt den Titel “Karriereentwicklung des Chief Information Officer (CIO) aus systemisch-konstruktivistischer Perspektive” – was hat Sie dazu gebracht, die CIO-Karriere wissenschaftlich zu beleuchten?
Dr. Baurschmid: Den eigentlichen Anfang des wissenschaftlichen Vorhabens bildete eine Idee, sich kritisch mit der sogenannten “Kontrollüberzeugung” von Führungskräften auseinander zu setzen. Das sind all jene Fragen, die sich aus der Haltung einer Person ergeben, bewusst seine eigene Situation beeinflussen, verändern und reflektieren zu können. Dies zeigt sich in der Praxis zwischen einer bipolaren Weltanschauung von selbstgesteuerter Allmachtsüberzeugung (‘Ich kann mein Handeln kontrollieren und mein Entscheiden selbst bestimmen’ oder ‘Jeder ist seines Glückes Schmied’) bis hin zur fremdbestimmten Ohnmachtsvorstellung (‘Ich bin ein Opfer meiner Umstände’ oder ‘Ich bin hilflos den Zwängen meiner Umwelt in spezifischen Situationen ausgeliefert’).
Daher liegt natürlich nahe, sich mit einem Berufsbild auseinanderzusetzen, welches einen wichtigen Stellenwert in einer Organisation hat, bei dem der Positionsinhaber einen nachweisbaren Karriereerfolg aufzeigen kann und irgendwie seine Karriere gesteuert haben muss. Zudem sind die CIOs in einer entscheidenden Position, da sie im Rahmen ihrer Personalverantwortung auch über die Karriereentwicklung ihrer Mitarbeiter zu entscheiden haben. Der CIO darf sich also nicht nur aus Eigeninteresse mit dem Thema beschäftigen, sondern ist im Rahmen seiner Führungsverantwortung in gewisser Weise auch für seine Mitarbeiter dazu verpflichtet.
silicon.de: Kern Ihrer Untersuchung ist eine anonyme Befragung von 40 CIOs – reicht diese Zahl aus für einen repräsentativen Einblick?
Dr. Baurschmid: Je nach persönlicher Erwartungshaltung und gelebtem Weltbild ist der Leser unter Umständen auf der Suche nach den ‘geheimen Spielregeln’ oder den rational erklärbaren Faktoren erfolgreicher Karrieren von Führungskräften im Bereich der Informationstechnologie (IT), wie diese oft in quantitativen Untersuchungen versucht werden zu identifizieren. Die Arbeit ist aber gerade kein ‘Erfolgsfaktoren-Rezeptbuch’, sondern eine Art Anleitung, die zum eigenständigen Nach- bzw. Weiterdenken über komplexe Situationen bei Karriereentscheidungen und -handlungen anregt.
Karriererelevante Fragestellungen für den CIO werden von der gängigen ‘Mainstream-Literatur’ oftmals nur mittels der Darstellung möglicher Entwicklungspfade tangiert und kontextspezifische Fragen im Management der Komplexität von Karrieren (der Weg, wie zum Beispiel der Aufbau von Kompetenzen für eine selbstorganisierte lebenslange Karriere ermöglicht wird oder die Wahrnehmung der Karrieresituation von Führungskräften verbessert werden kann) stellen gar einen ‘weißen Fleck’ dar. Die in der Arbeit gewählte qualitative Vorgehensweise zeigt Wege auf, wie sich das Warum, Woher und Wohin innerhalb einer CIO-Karriere identifizieren und daraus individuelle Schlussfolgerungen ziehen lassen.
Individualität, Subjektivität und Werteerfahrung sollten durch den Reflexionsansatz der entwickelten Coaching-Landkarte in den Vordergrund gerückt werden, ohne dabei ein eignungsdiagnostisches Instrumentarium zur Analyse von Verhaltens-, Denk- und Handlungsmustern, Kompetenzen oder Potentialen von CIOs zu entwickeln. Die anonyme Befragung der 40 CIOs und fünf Headhunter beziehungsweise Arbeitsdirektoren ist insofern durchaus repräsentativ. Hauptziel ist, wie es in der systemischen Beratungstheorie heißt, zu “irritieren”, also zum Nachdenken anzuregen, die eigene Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und dabei die gängige Steuerungsmöglichkeiten von Karrieren zu hinterfragen.
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