Das App-Paradigma
“App” klingt klein. Also kann man gut darüber nachdenken, wenn man durch ein Land reist, in dem alles klein klingt. Aber es könnte ein Horror-Trip werden.
Was einem doch alles durch den Kopf geht, wenn man mit der Bahn (Ziegle) durch das Land des gnadenlosen Diminutiv (Ländle, auch: Baden-Württemberg) reist. Ein zerebraler Insult oder Gehirnschlag (Schlägle) hört sich hier harmlos an, ein bissiges Vieh (Hundle) niedlich und ein großes Immobilien-Investment (Heisle) überschaubar.
Warum aber, so fragt man sich, spricht man selbst hier – wo übrigens viele Menschen (Leitle) bei IBM und HP ihr Geld verdienen – nie von einem Äblikeischnle? – Ganz einfach, weil’s statt dessen den modischen Kurzbegriff (Wärtle) App gibt.
In den Ohren von jemandem, der Informationstechnik liebt, klingt App allerdings abwertend, nach einer Bezeichnung für etwas, wofür vier Silben wie Application aufzuwenden, sich nicht lohnt. Und das klingt nicht nur so. Das ist so.
Ganz offenkundig hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik die Software für den elektronischen Personalausweis mit Bedacht App genannt: Kaum, dass es sie gibt, entdeckt man, dass sie unsicher ist. Bei einer App braucht man, sich ja auch nicht zu wundern.
Jahrelang haben Entwickler an Standards gefeilt, um mit dem Browser verschlüsselt und auch sonst sicher auf Internet-Sites zugreifen zu können. Mit einer hastig zusammengeklickten App geht das natürlich nicht.
Eine App kann man sich vorstellen wie einen Browser für nur eine Site, also einen, womit man nicht browsen kann, einen Geländewagen, der auf Schienen fährt, oder ein Schweizer Armeemesser ohne Messer – und ohne Säge, Korkenzieher und Dosenöffner – sondern nur mit Fischentschupper.
Die Beschränktheit macht die App aus. Noch vor ein paar Jahren hätte man so ein borniertes Stück Software abfällig Treiber genannt. Aber irgendwie scheinen Apps ja, im Trend zu liegen – nicht nur in der IT.
Früher ergriff man einen Beruf. Das kommt von Berufung. Und man ließ sich auf dem Arbeitsamt dafür beraten. Heute heißt das Job-Center und ist danach. Jobs sind Arbeits-Apps – beschränkt, zeitlich und hinsichtlich der sozialen Sicherheit, aber eben auch allgegenwärtig.
Im Ländle streiten sich d’Leitle ja wegen d’Ziegle. Und einige Ältere kennen den Protest noch von früher her. “Kein AKW in… und anderswo!” haben sie damals skandiert. Heute demonstrieren sie gegen Stuttgart 21. Das Anderswo kommt in den Slogans nicht vor. Anti-S21 – eine Art Demo-App.
Die große liberale Partei der Weimarer Republik war die DDP mit Walther Rathenau, Max Weber und Thomas Mann als prominente Mitglieder, eine Programmpartei, besser noch: ein in Form einer Partei institutionalisiertes Programm. Die heutige FDP hingegen… oh je, eine Lib-App, beschränkt auf Steuersenkung. Und selbst das funktioniert nicht.
Der Diminutiv von App ist Apple. Und der Konzern dieses Namens hat die in Software gegossenen Borniertheiten populär gemacht.
Man kaufe sich den Playboy nur wegen der interessanten Interviews, war in der Jugend des Schreibers eine beliebte Ausrede älterer Herren und ein stehender Witz unter allen anderen. Dank Steve Jobs gibt’s diesen Witz jetzt als App.
Und die Satire des Pulitzer-Preisträgers Marc Fiore wollte Steve Jobs als App nicht zulassen, weil sie Personen des öffentlichen Lebens lächerlich macht. Er ist ja auch schon eine Person des öffentlichen Lebens. Und Fiore braucht er nicht für das, was er selbst viel besser kann.
Er dürfe anderen Leuten Programme verbieten, ließ Steve Jobs am 12. Januar 2007 die New York Times wissen. Denn es seien ja gar keine Programme, sondern Apps und die Gadgets dafür, die iPhones eher iPods als PCs. – Ach, ja.
Ziel der Zieglesfahrt durchs Ländle ist übrigens der Bauernhof des besten Freundes aus der Schulzeit. Damals existierte noch kein Diminutiv. Alles war groß, das Leben, die Probleme und vor allem die Musik. Die kam vom Kassettenrekorder und von den Stones. Denn MP3-Player, mit denen man telefonieren und Apps fahren kann, so was gab’s damals zum Glück noch nicht.