In Bayern gibt’s so eine Redensart: “I kimma vor wia da Wanninger”. Jene rekurriert auf ein Stück aus der Feder des großen Karl Valentin, das den gleichnamigen Buchbinder in einer existenziellen Situation zum Gegenstand hat – am Telefon – von einem Inkompetenten zum nächsten Inkompetenten weitervermittelt. Nach einem Dutzend Stationen landet er schließlich wieder am Ausgangspunkt.

Das scheint, eine Metapher für Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz zu sein. Und Albert Camus bemerkt zu diesem Thema im Mythos des Sisyphos ja so tröstlich: “Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden könnte”.

Aber gilt das auch im Informationszeitalter, das doch so heißt, weil Informationsbeschaffung heute nur als Sisyphosarbeit noch denkbar ist? fragt man sich zweifelnd, schließlich nutzt die Inkompetenz heute kein analoges Telefon mit Wählscheibe mehr, sondern Sprach-Daten-Integration, Mailings, den Mobilfunk der mindestens dritten Generation und das weltumspannende Internet.

“Herzlich willkommen…”, sagt die im örtlichen Telefonnetz erreichbare und vermutlich als wav-File abgespeicherte Frauenstimme, wohl dieselbe, die in der Endlosschleife im Supermarkt immer so warmherzig empfiehlt, Tütensuppen für 29 Cent zu “genießen”. Am Telefon bittet sie, zu warten oder per Spracheingabe einen Menüpunkt auszuwählen.

Da heißt es, vorsichtig und mucksmäuschenstill zu sein, sonst hängt man schon drin im ersten Wanninger-Loop und landet unweigerlich wieder beim Herzlichkeits-wav. Musik ertönt aus dem Hörer, Mozarts Requiem in d-Moll. Das passt. Der Meister bevorzugte ja das fröhliche Dur. Aber als sein Ende nahen fühlte, komponierte er in Moll. Es muss ein langes Sterben gewesen sein.

Derweil ruft ein Junior-PR-Manager auf dem Handy an, ob man die Mail gelesen habe. Richtig, unter den 328 dieser Woche war eine, die zu einem Hintergrundgespräch mit dem Deutschlandchef eines US-amerikanischen IT-Konzerns einlud. Thema war keins erwähnt, dafür aber, dass das Hintergrundgespräch bei einem “Mehr-Gänge-Menue” im Münchner So-und-so-viel-Sterne-Restaurant Tantris stattfinden würde.

Nun haben Deutschlandchefs von US-Konzernen nicht allzu viel zu sagen. Im Hintergrund agieren schließlich andere. Konsequent spricht der Junior-PR-Manager denn auch nur vom Tantris-Termin. Nach einem solchen fließen der Journaille die wohlwollenden Worte erfahrungsgemäß besonders leicht aus der Feder.

Andererseits ist das einzige Vorrecht, das man sich als Schreiber herausnehmen mag, jenes, nach Information zu verlangen und diese dann zu verbreiten. Wie kann man jemandem, der unter Erfolgsdruck steht und sicherlich bald Senior-PR-Manager werden möchte, höflich beibringen, dass man nicht gewillt ist, in seinen C&A-Anzug zu steigen und dieses Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht zu verkaufen, auch wenn jenes im Tantris sicherlich köstlich zubereitet würde? – Es gelingt nur wenig überzeugend. Nebenbei bemerkt: Eine Tütensuppe für 29 Cent, mit Muse eingenommen, kann durchaus ein Genuss sein.

Mozart stirbt derweil im Festnetz weiter. Aber ein Knacken kündet das Ende an. Eine englische Stimme ertönt, allerdings mit einem ungewöhnlichen “r”. Es muss sich wohl um eines jener Callcenter in Bangalore handeln, die dort für internationale Konzerne arbeiten.

Der Inder hat natürlich von dem Internet-Peering-Point, dessen Münchner Nummer man gewählt hat, keine Ahnung. Aber er ist auf Zack.

Nur kurz nimmt Mozart post mortem sein Sterben wieder auf. Dann antwortet eine andere englische Stimme. Oxford-Englisch. Der Pressechef: Der kennt den Peering-Point, den sein Unternehmen betreibt, auch nicht. Man möge ihn doch die Fragen mailen.

Oh je, das ist das, was der IT-Schreiber als Microsoft-Pattern bezeichnet: Man ruft bei der dortigen Pressestelle an, erreicht aber nie einen der vielen Pressesprecher, die auf drei Hierarchieebenen und mit phantasievollen Funktionsbezeichnungen organisiert sind, sondern stets die Assistentin, “Mitarbeiterin” geheißen. Eine vermutlich blitzgescheite Frau. Ihre Aufgabe besteht allerdings ganz offenkundig lediglich darin, ohne dazwischen zu reden, sich Anliegen detailliert schildern zu lassen, um den Anfragenden schließlich zu bescheiden: “Können Sie uns das mailen?”

Im Antwortschreiben dann bedankt sich ein Textbaustein für das “Interesse an Microsoft” und verspricht, dass ein kompetenter Gesprächspartner gesucht würde. Der Gigabyte-große Outlook-Eingangsordner des Schreibers liefert keinen Hinweis darauf, dass Microsoft jemals fündig geworden wäre. Vielleicht hat man’s in Redmond und Unterschleißheim ja einfach nicht so mit der Kompetenz.

Die Recherche in Sachen Münchner Peering-Point, betrieben vom andern Konzern, verläuft denn auch entsprechend. Weitere Mails und auf Anrufbeantwortern hinerlassene Nachfragen bleiben unbeantwortet.

Information in der Informationsgesellschaft zu finden, hat halt sehr viel mit Steganographie zu tun. Irgendwo zwischen Textbausteinen, wav-Files, Call-Centers, Hintergrundgesprächen mit vollem Mund oder auf der VoIP-Strecke zwischen München und Bangalore muss sie doch versteckt sein. Aber immer, wenn man meint, sie zu fassen zu kriegen, muss man wieder von vorne beginnen.

Und da schrieb Karl Valentin doch tatsächlich eine Tragikkomödie über den Wanninger, einen Buchbinder, der vom Schicksal geradezu verhätschelt wurde, einem Schicksal, das nicht einmal der Verachtung würdig ist. Wanninger! Lächerlich! Wie hätte Albert Camus es formuliert: “Wir müssen uns Wanninger als einen glücklichen Menschen vorstellen.”

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Silicon-Redaktion

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