Die ersten Stunden mit HPs TouchPad

Bis zu 80 Tablets, die meisten davon mit dem Google-Betriebssystem Android, soll es inzwischen geben. Jetzt kommt von HP ein weiterer Konkurrent zu Apples iPad hinzu und noch dazu eine neue Plattform, für die es derzeit deutlich weniger Anwendungen gibt als etwa für Apple oder Android.

WebOS scheint neben dem großen mobilen Patentportfolio eine der Kronjuwelen der Palm Übernahme im April gewesen zu sein. Nach rund 10 Monaten bringt Hewlett Packard jetzt die erste Hardware mit dem neuen Betriebssystem auf den Markt.

Es scheint nicht gerade so, als hätte der Markt auf HPs neues Angebot gewartet. Apple sahnt derzeit mit dem iPad mächtig ab und die Nutzerschaft sehnt sich schon nach der zweiten Auflage des iPads. Die Kanadier von RIM bringen derzeit das BlackBerry PlayBook in Stellung. Bleibt da überhaupt Platz für HPs TouchPad mit WebOS-Betriebssystem?

Hardware

Auf den ersten Blick sieht HPs nicht nach Sonderling und nicht nach Revoluzzer aus, sondern eben wie ein Tablet, wie es sie schon zu Dutzenden gibt. Der 9,7-Zoll-Bildschirm ist ebenso groß wie der des iPads und bietet mit 1024 mal 768 Pixeln die gleiche Auflösung. Das Motorola Xoom bringt auf seiner 10,1-Zoll-Anzeige 1280 mal 800 Bildpunkte unter. Das Display sieht angenehm aus und bietet erfreulich gute Blickwinkel. Ob ein IPS-Panel wie beim iPad oder ein TN-Panel wie beim Gros der Android-Tablets zum Einsatz kommt, ist derzeit noch nicht bekannt.

Das Herz des TouchPad ist ein Snapdragon-Dual-Core-Prozessor mit 1,2 GHz von Qualcomm. Auch hier bietet sich wieder der Vergleich mit der Konkurrenz an: Im iPad schlägt eine 1-GHz-A4-CPU, im Motorola Xoom kommt der 1 GHz schnelle Dual-Core-Chip Nvidia Tegra 2 zum Einsatz. Auf dem Papier scheint das HP-Tablet also die beste Leistung zu bieten, aber die Praxis sieht oft anders aus. Die Oberfläche des TouchPad ruckelt und hakelt hier und dort gelegentlich ein wenig – das ist beim iPad beispielsweise nicht der Fall. Aber nachdem das Tablet ohnehin erst im Sommer in den Handel kommen wird, lässt sich hier noch keine verlässliche Aussage treffen. Weder Hard- noch Software sind serienreif.

Auf der Vorderseite des TouchPad befindet sich eine Webcam, die 1,2 Megapixel auflöst. Hinten am Gehäuse gibt es keine Knipse. Das iPad bietet gar keine Kamera, das Motorola Xoom verfügt über front- und rückseitige Digicam mit 2 beziehungsweise 5 Megapixeln. Nachdem – außer bei Apple – zwei Kameras bei Tablets inzwischen zum guten Ton gehören, sind wir etwas überrascht, dass HP nur eine verbaut.

Ein weiteres Ausstattungsmerkmal, das bei Tablets schon fast in die Kategorie “Selbstverständlichkeit” fällt, ist ein Videoausgang. Selbst Smartphones geben Videos und Fotos schon per HDMI mit 1080p-Auflösung auf dem dicken 50-Zoll-Plasma im Wohnzimmer wieder. Den HDMI-Ausgang beim TouchPad sucht man – zumindest bei den Vorserienmodellen – vergeblich.


Solide verarbeitet, ansprechende Handhabung; was das TouchPad allerdings nicht bietet, ist revolutionäres Design. Quelle: HP

Dafür bietet das TouchPad ein Schmankerl, das Palm-Fans bereits von den WebOS-Smartphones kennen. Das Tablet lässt sich mit der optional erhältlichen Touchstone-Ladestation drahtlos mit Strom versorgen. Apropos Strom: HP macht derzeit noch keine Angaben zur Akkulaufzeit des TouchPad. Die Dual-Core-CPU gilt jedoch nicht gerade als besonders Akku-schonend.

In Sachen Kommunikativität lässt das TouchPad kaum Wünsche offen. Es gibt WLAN nach dem flotten 802.11n-Standard und Bluetooth in der Version 2.1 +EDR inklusive A2DP-Unterstützung. HP will optional ein Bluetooth-Keyboard anbieten, das das Tablet zum vollwertigen Arbeitstier machen soll. Wie das iPad wird es das TouchPad sowohl mit als auch ohne UMTS-Modul zu kaufen geben. Und wie bei Apple hat die UMTS- beziehungsweise 3G-Ausführung einen A-GPS-Receiver an Bord.

Die Hardware-Ausstattung ist wichtig. Aber um sich gegenüber der Konkurrenz abzuheben muss auch die Software das eine oder andere Extra bieten. HPs große Chance ist es, sich durch die Software zu unterscheiden – und den Nutzer die Hardware vergessen zu lassen. Von der neuen Mobilplattform geht für HP aber natürlich auch ein gewisses Risiko aus. Schließlich muss der Hersteller auch Entwickler auf seine Seite ziehen, die derzeit vor allem für iOS, Android und vermehrt auch für Microsofts neue Plattform arbeiten.

Das ursprünglich von Palm entwickelte WebOS wirkt, als fühle es sich auf dem 9,7 Zoll großen Display zu Hause. Die vorinstallierten Apps wie E-Mail-Programm, Browser, Photobetrachter, Kalender, Mediaplayer und Chat sind alle auf die große Bilddiagonale angepasst. Das Betriebssystem nutzt den Platz auf der Anzeige und füllt ihn mit Fenstern und übersichtlichen Menüs, so wie wir es beim iPad, beim PlayBook und beim Xoom gesehen haben. WebOS fühlt sich auf dem TouchPad wie ein richtiges Tablet-OS an – und nicht wie ein Betriebssystem, das man mit Gewalt vom kleinen Smartphone-Display auf eine große Tablet-Anzeige ausgewalzt hat.

Der Homescreen hat sich seit dem ersten Palm Pre nicht großartig verändert und bietet dem Anwender ein erfrischend einfaches Interface an. Im Gegensatz zum iPad füllen sich hier nicht Bildschirm und Bildschirm mit Icons. Stattdessen fühlen wir uns eher an einen klassischen Windows-Desktop erinnert. Es gibt viel Platz für geöffnete Programme, und der Nutzer wechselt bequem per Fingerwisch zwischen den Tasks hin und her. Wer schon einmal ein WebOS-Smartphone von Palm benutzt hat, wird bestätigen können, dass das Konzept aufgeht und eine effekte Lösung für Multitasking auf Smartphones darstellt. Und das schon lange, bevor Apples Geräte überhaupt davon träumen konnten.

Eine der größten Herausforderungen an WebOS wird das Angebot an Apps sein. Palms beziehungsweise jetzt HPs App Catalog hat noch nicht dasselbe explosive Wachstum erfahren, wie es der App Store oder der Android Market durchgemacht haben. Hier hat der Hersteller noch einiges nachzuholen – und muss einen Weg finden, die Entwickler dazu zu bringen, Apps möglichst für kleine und große Displaydiagonalen gleichzeitig zu entwickeln.

HP hat fleißig Deals abgeschlossen und kann mit einigen hochkarätigen Apps aufwarten – von Facebook über Rovio (Angry Birds) bis hin zu Last.fm sind zahlreiche interessante Partner dabei. Ob es dem Hersteller allerdings gelingt, ein langfrisitges Interesse bei der Community und den Entwicklern zu wecken, wird sich erst ab Sommer zeigen.

Dem App-Mangel gegenüber stehen ein paar interessante Features, die WebOS seinen Konkurrenten voraus hat. Ein Beispiel wäre die Synchronisation von Text-Nachrichten zwischen verschiedenen Geräten. Wenn sich etwa das TouchPad und ein WebOS-Smartphone im gleichen Netzwerk befinden, kann man aufs Handy eingehende Textnachrichten auch bequem vom großen Display des Tablets aus beantworten – selbst wenn es nur das WLAN-TouchPad und nicht die UMTS-Ausführung ist. Das Feature klingt nicht nur für Endanwender, sondern auch für HP interessant. Es wäre ja natürlich traumhaft, wenn sich Kunden nicht nur eines, sondern gleich mehrere WebOS-Geräte kaufen. Das gleiche gilt auch für HPs Touch-to-Share-Funktion, mittels der sich URLs zwischen dem Tablet und dem Smartphone hin- und herschieben lassen. Alles, was man zum Übertragen tun muss, ist, die beiden Geräte aufeinanderzulegen. Auf dem Handy eingehende Anrufe lassen sich übrigens ebenfalls mit dem TouchPad beantworten.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die skalierbare Onscreen-Tastatur. Auf der virtuellen Klaviatur befindet sich eine Schaltfläche zum Anpassen der Größe in vier Abstufungen. Außergewöhnlich ist außerdem die Reihe von Zifferntasten über dem virtuellen Keyboard – ganz wie auf einer konventionellen PC-Tastatur. Sie sind zwar etwas kleiner als die Buchstabentasten und leicht rundlich, machen aber das nervige Wechseln zwischen Buchstaben- und Ziffernlayout obsolet.


Einfach tippen oder ‘Just type’: Das Gerät schlägt schon bei den ersten Buchstaben eine Funktion vor, wie hier im Kontakt-Management von WebOS. Quelle: HP

Ebenfalls erwähnenswert ist die Just-Type-Funktion – zu Deutsch: Einfach tippen. Und genau so ist es auch gemeint. Der Nutzer nimmt das Gerät in die Hand und haut einfach in die Tasten. Ganz gleich, ob es der Name eines Restaurants, ein potenzielles Status-Update oder der Titel eines Nirvana-Songs ist, das TouchPad gibt eine Reihe von Verwendungszwecken an. Darunter wären beispielsweise Suche im Internet, Posten auf Facebook oder E-Mail-Postfach durchsuchen. In der Theorie ist das eine geniale Funktion, die perfekt mit der Tablet-Idee einhergeht.

Mit dem TouchPad kommt ein weiteres Gerät mit einem weiteren Betriebssystem auf den Markt, das sich definitiv den Titel “iPad-Rivale” auf die Fahne schreiben kann. Unsere ersten Eindrücke von HPs Tablet sind sehr gut, doch die Konkurrenz ist stark: Nicht nur Apple mit einem anstehenden iPad 2, sondern auch RIM mit dem BlackBerry PlayBook und unzählige Android-Honeycomb-Tablets von den unterschiedlichsten Herstellern werden um die Gunst der Kunden buhlen und HP das Leben schwer machen.

Derzeit gibt es noch zu viele offene Fragen, um den zukünftigen Stand des HP TouchPad abzuschätzen. Aber wenn der Hersteller seine Hausaufgaben bei Preispunkt, Akkulaufzeit und Verfügbarkeit macht, dann könnte das TouchPad der Konkurrenz durchaus mehr als nur ein paar Käufer abspenstig machen.

Silicon-Redaktion

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