IT-Branche: Die Lage nach dem Beben

silicon.de hat in deutschen und japanischen IT-Unternehmen nachgefragt, wie es den Mitarbeitern vor Ort geht. Die Mitarbeiter von Infineon und Fujitsu Technology Solutions sind wohlauf, bei Hitachi Data Systems (HDS) gab es Leichtverletzte. Langsam dringen auch Fragen zu den wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe ins Bewusstsein.

Infineon habe in Japan rund 100 Mitarbeiter japanischer Nationalität, sagte Christian Hoenicke, Infineon Manager Media Relations, gegenüber silicon.de. Deutsche beschäftige man in Japan nicht. Wichtigster Standort sei Tokio, die Mitarbeiter arbeiteten vor allem in Marketing und Vertrieb. “Wir sprechen derzeit mit den Mitarbeitern.” Wenn es die Situation erfordere, wolle man den Standort nach Süden verlagern.

Lieferengpässe befürchtet Infineon derzeit nicht. Aus Japan beziehe man Chemikalien, Wafer und Masken, so Hoenicke. Es sei möglich, dass es zu Verzögerungen in der Lieferkette komme – im Moment spüre man jedoch noch keine Auswirkungen. Wenn die japanischen Lieferungen ausblieben, werde sich Infineon auf dem Weltmarkt Ersatz beschaffen.

Fujitsu teilte mit, dass nach gegenwärtigem Kenntnisstand keine Mitarbeiter von Fujitsu Technology Solutions beim Erdbeben verletzt wurden. Alle deutschen Fujitsu-Mitarbeiter seien zurück in Deutschland, sagte Blandina Mangelkramer, Senior Manager PR Germany, gegenüber silicon.de. “Sie hatten Glück: Zwei Stunden vor dem Erdbeben ging ihr Flug nach Deutschland.” Ein japanischer Kollege von Fujitsu Semiconductor Limited habe beim Erdbeben jedoch sein Leben verloren. “Fujitsu in Japan versucht weiterhin alle Mitarbeiter zu erreichen, mit denen noch kein Kontakt hergestellt werden konnte.”

Auch Fujitsu Deutschland stehe in ständigem Kontakt mit den Kollegen in Japan. Zudem setze man alles daran, den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Zu diesem Zweck habe man Produktionskapazitäten aus Fabriken der betroffenen Gebiete auf andere Werke verlegt – beispielsweise nach Augsburg. Dort sei generell die Produktion sämtlicher Desktop-PCs und x86-Server sowie bestimmter Notebook-Linien für den europäischen Markt angesiedelt. Einige Notebook-Modelle für Europa würden im Fujitsu-Werk in Shimane im Süden von Japan gefertigt – einer Gegend, die vom Erdbeben nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Fujitsu habe bislang 1 Million Dollar gespendet und liefere Hilfsgüter, um die Menschen vor Ort zu unterstützen.

Auch Hitachi Data Systems (HDS) hat eine Bestandsaufnahme vorgenommen. “Ich bin froh, mitteilen zu können, dass die gegenwärtigen Berichte nur wenige Verletzte und geringe Schäden melden”, sagte HDS-CEO Jack Domme. “Doch wir beobachten die Lage weiter.”

Das ‘Hitachi Risk Management Office’ habe Maßnahmen ergriffen, um die größtmögliche Sicherheit für die Mitarbeiter zu gewährleisten. An den Produktionsstätten seien keine Schäden zu verzeichnen. Auch eine Unterbrechung der Produktion und der Versorgung der Kunden sei nicht zu erwarten, da man über ausreichende Ressourcen und Bestände in anderen Teilen der Welt verfüge.

TIs Fertigungsanlage in Miho (Bild: TI)
TIs Fertigungsanlage in Miho (Bild: TI)

Texas Instruments (TI) hatte dagegen weniger Glück. Die TI-Fertigungsanlagen in Miho wurden nach einer Mitteilung beim Erdbeben ernsthaft beschädigt. Die Produktion in dem Werk rund 64 Kilometer nordwestlich von Tokio steht derzeit. TI will sie schrittweise wieder aufnehmen: Einige Fertigungslinien sollen im Mai wieder anlaufen, die volle Kapazität werde Mitte Juli erreicht. Damit könne man ab September wieder sicher liefern.

TI weist jedoch darauf hin, dass es zu Verzögerungen kommen könne, falls das Stromnetz in dieser Region instabil bliebe. In der Zwischenzeit beeile man sich, die Fertigung auf andere Fabriken zu verlagern. Sie könnten kurzfristig rund 60 Prozent der Wafer-Produktion des Werks in Miho übernehmen.

Der Halbleiterhersteller äußerte sich auch zu den Schäden: Die Infrastruktur für Chemikalien, Gase, Wasser und Luft seien betroffen. Die Reparaturen sollen in etwa drei Wochen abgeschlossen sein. Von den in der Herstellung befindlichen Produkten könnten etwa 40 Prozent gerettet werden. Der Zustand der Fertigungsanlage sei allerdings noch unklar. Sichere Aussagen dazu könne man erst treffen, wenn die Stromversorgung wieder kontinuierlich funktioniere. Das Fabrikgebäude selbst ist laut TI nur leicht beschädigt worden. Die Struktur sei stabil.

Die Produktion in Miho hat 2010 etwa zehn Prozent zu den erzielten Einnahmen von TI beigetragen. Mehr als ein Drittel sind Digital-Light-Processing-Chips (DLP), der Rest Analogprodukte. TI rechnet aufgrund des Ausfalls mit Umsatzverlusten und weiteren Kosten. Die Größenordnung werde man detailliert im Rahmen des Bilanzberichts für das erste Quartal am 18. April bekannt geben.

Das TI-Werk in Aizu-Wakamatsu rund 240 Kilometer nördlich von Tokio wurde durch das Erdbeben ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Hier ist die Fertigung allerdings schon wieder angelaufen. Ab Mitte April will man – eine stabile Stromversorgung vorausgesetzt – wieder mit voller Kapazität produzieren.

Viele japanische Technologie-Anbieter sind im Branchenverband Bitkom organisiert. “Unser Mitgefühl gilt den Menschen in Japan, die durch die Katastrophe Familienangehörige, Freunde oder Kollegen verloren haben”, sagte Bitkom-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer. Man hoffe sehr, dass die japanischen Kollegen und ihre Familien unversehrt geblieben seien und weiterhin unversehrt bleiben. “Die Nachrichten aus den Unternehmen stimmen uns zuversichtlich, dass dies weitgehend der Fall ist.”

Nach ersten Berichten der Hersteller hielten sich die direkten Auswirkungen des Erdbebens und des Tsunamis auf die Produktion von Hightech-Produkten in Grenzen. Scheer: “Die Unternehmen bemühen sich, die Fertigung wieder in Gang zu bringen oder sie verlagern Produktionskapazitäten in andere Werke.” Viele japanische Hersteller seien global aufgestellt und produzierten außerhalb des Landes in der Nähe der Absatzmärkte. Mit Lieferengpässen in Deutschland bei Geräten sei vorerst nicht zu rechnen. Noch sei allerdings unklar, wie sich die Schäden an der Infrastruktur, die Stromknappheit oder gar ein nuklearer Super-GAU auswirken werden.

Neben Endgeräten werden in Japan auch Komponenten wie Chips, Sensoren oder LCD-Glas gefertigt. Laut Bitkom ist es nicht auszuschließen, dass es bei einzelnen Herstellern zu Engpässen bei bestimmten Teilen kommen kann. Im weltweiten Maßstab sei die Versorgung aber nicht gefährdet. Dies gelte, solange die Situation in Japan nicht weiter eskaliere.

Nach Angaben des Elektrotechnik- und Elektronikindustrieverbandes ZVEI produziert Japan ein Zehntel aller elektrotechnischen und elektronischen Erzeugnisse weltweit und ist hinter China und den USA der drittgrößte Produktionsstandort. Mit einem Volumen von 250 Milliarden Euro rangiert auch der japanische Elektromarkt global auf Rang drei – wiederum hinter China und den USA.

Die Exporte der deutschen Elektroindustrie nach Japan belaufen sich demnach auf rund 2,5 Milliarden Euro. Die Elektroeinfuhren aus Japan haben einen Wert von 8 Milliarden Euro und machen sechs Prozent der gesamtdeutschen Elektroimporte aus. Damit ist Japan der drittwichtigste Lieferant für den deutschen Markt. Einen hohen Rang hat Japan bei der Produktion von elektronischen Bauelementen – hier stammt mehr als ein Sechstel des weltweiten Angebots aus japanischer Herstellung.