Entscheider lieben kurze Verträge
Die meisten Unternehmer und Manager lieben schlanke Verträge, am besten nur ein bis zwei Seiten. Der Leseaufwand ist geringer und die Vertragsverhandlungen werden beschleunigt. Doch zahlt man den vermeintlichen Zeitgewinn bei der Vertragsverhandlung im Projektverlauf nicht oft doppelt und dreifach wieder zurück? Da kurze Verträge naturgemäß viele Regelungsfragen nicht regeln, muss das Gesetz im Konfliktfall befriedigende Antworten zu den streitigen Fragen liefern. Denn nur wenn Streitfragen schnell und eindeutig aufgeklärt werden können, sind Konflikte auch schnell und effizient zu lösen. Wie ein Blick ins Gesetz zeigt, sind aber genau jene Fragen, die bei IT-Beschaffungsmaßnahmen und Projekten zum Streit führen, nicht hinreichend konkret im Gesetz geregelt. Die Folge, lange Debatten und im Zweifel lange Gerichtsverfahren. Erhebliche Projektverzögerung und Budgetüberschreitungen sind die Folge.
Kein spezielles IT-Vertragsrecht im Gesetz
Das Vertragsrecht ist in Deutschland im Wesentlichen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Ein spezielles IT-Vertragsrecht existiert nicht. Vielmehr ist es Aufgabe der Richter, Anwälte und Unternehmensjuristen, die Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Beschaffung von IT ergeben, mittels der Regelungen, die die Vertragstypen des BGB (z.B. Kauf-, Miet-, Werk- und Dienstvertrag) anbieten, zu beantworten. Kauft ein Kunde zum Beispiel eine komplexe Standardsoftware (wie eine CRM- oder ERP-Software) gelten für diesen Kauf dieselben kaufrechtlichen Gesetzesbestimmungen, wie für den Auto- oder Brötchen-Kauf.
Für die typische Streitpunkte liefert das Gesetz keine konkreten Antworten
Da die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzesbuches bei der Abfassung des Gesetzestextes eher die Geschäfte der Old Economy vor Augen hatten, fehlen im BGB Regelungen, die für die Beschaffung von IT hinreichend konkrete Antworten zu den typischen Streitpunkten bei der Abwicklung solcher Geschäfte liefern.
Kann beispielsweise die neu gekaufte ERP-Software Rechnungen im vom Kunden gewünschten Layout nicht abbilden, dann stellt sich die Frage, ob der Kunde für die Anpassungen des Standardlayouts einen Aufpreis bezahlen muss. Abgesehen davon, dass die Aufpreise für solche Anpassungen meist das ursprünglich geplante Budget und den Zeitplan sprengen, ziehen sie darüber hinaus auch beträchtliche Folgekosten nach sich; denn bei jedem Release-Wechsel müssen die Anpassungen wieder konfiguriert oder programmiert werden. Bei steigendem Kostendruck ein klassischer Konfliktpunkt, der sich auch durch den Blick ins Gesetz nicht zweifelsfrei auflösen lässt.
Nach § 434 BGB muss die ERP-Software in erster Linie die “vereinbarte” Beschaffenheit haben. Lässt sich eine Vereinbarung über ein kundenspezifisches Rechnungslayout nicht nachweisbar feststellen, wird es schwierig, einen Anspruch auf kostenlose Lieferung eines kundenspezifischen Rechnungslayouts aus dem Gesetz abzuleiten. Laut § 434 BGB besteht mangels ausdrücklicher Vereinbarung eine Verpflichtung des Verkäufers zur kostenlosen Lieferung eines kundenspezifischen Rechnungslayouts dann, wenn sich die ERP-Software ansonsten nicht für die “vertraglich vorausgesetzte Verwendung” eignet. Doch was ist denn die vertraglich vorausgesetzte Verwendung einer ERP-Software und welches Rechnungslayout kann man in diesem Zusammenhang als Käufer erwarten? Fragen, die ohne knallharte, zweifelsfreie Beweise kaum eindeutig zu beantworten sind und über die man im Konfliktfalle mehr als nur eine Meinung haben kann.
Lässt sich auch aus der vertraglich vorausgesetzten Verwendung keine eindeutige Antwort für die Frage nach dem vertraglich geschuldeten Rechnungslayout herleiten, hat der Käufer nach § 434 BGB nur noch dann eine Chance, seinen Anspruch auf kostenlose Lieferung durchzusetzen, wenn die ERP-Software durch das fehlende kundenspezifische Layout nicht zur “gewöhnlichen Verwendung” geeignet ist und von jener Beschaffenheit abweicht, die bei Software der “gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann”. Für die Frage, was der Kunden erwarten kann, sind gemäß § 434 BGB auch die Aussagen des Softwareanbieters in der Werbung heranziehen.
Doch auch diese Kriterien werden im Konfliktfall keine eindeutige Antwort auf die Frage liefern, welches Rechnungslayout bei einer ERP-Software geschuldet wird. Kaum ein Anbieter wird zu diesem Punkt konkrete Aussagen in der Werbung machen. Und befragt man EDV-Sachverständige, ob ein bestimmtes kundenspezifisches Rechnungslayout zur gewöhnlichen Verwendung einer ERP-Software gehört und üblich ist, wird man meist mehr als eine Meinung hören.
Wenn aber weder der Vertrag noch das Gesetz klare und eindeutige Antworten zur geschuldeten Funktionalität einer Standardsoftware liefern, dann entstehen im Hinblick auf die unterstellten, aber unausgesprochenen Erwartungen des Kunden an eine bestimmte Funktionalität sehr schnell Konflikte, die zu einer Projektschieflage führen können.
Kompromisse werden durch Ausgangssituation bestimmt
Nun wird der eine oder andere Manager erwidern, dass man sich ohnehin nicht auf das Gesetz verlasse und Konflikte stets auf kaufmännischer Ebene lösen werde. Grundsätzlich ist eine solche, auf einer Win-Win-Einstellung fußende Einstellung begrüßenswert. Doch nicht immer lassen sich im Konfliktfall kaufmännisch vertretbare Kompromisse finden. In der Regel muss ein bestimmter Kompromiss stets auch unternehmensintern begründet werden und darf nicht einfach willkürlich Positionen zum Nachteil des eigenen Unternehmens ‘verschenken’. Wenn der Lieferant meint, zu hundert Prozent Recht zu haben, dann unterstützt eine unklare Rechtslage eine solche ‘gefühlte’ Rechtsposition oft ohne sachliche Rechtfertigung. Eine aus Sicht des Käufers vertretbare Einigung ist damit deutlich schwieriger zu erzielen, als bei einer Situation, wo die Rechtslage für jeden klar erkennbar die Position des Kunden stützt. Genau deshalb ist es so wichtig, sich nicht nur auf das Gesetz zu verlassen und für hinreichend konkrete Verträge zu sorgen. Dabei gilt selbstverständlich nicht das Prinzip, je länger je besser. Entscheidend ist vielmehr, dass der Vertrag jene Punkte hinreichend konkret regelt, bei denen üblicherweise Konflikte zu erwarten sind. Um hier die richtige Mischung zwischen hinreichend konkreter Reglementierung und Überregulierung zu finden, bedarf es entsprechender Erfahrung und ständiger Reviews abgeschlossener und durchgeführter Verträge.
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IT Beschaffungsprojekte nicht unter Gesetzesschutz?!
Diese einseitige und vor allem unvollständige Darstellung dient wohl nur zur Werbung für die Kanzlei.
Die Gesetze werde durch die Normen mehr als hinreichend ergänzt. Die Gerichte sind also immer in der Lage, adäquat Recht zu sprechen, indem sie einen (ö.b.v.) IT Sachverständigen hinzu ziehen.
Nach meiner 18jährigen Sv-Erfahrung versäumen die Firmen es fast generell, sich vorher (!) entsprechend sachkundig zu machen und lassen es häufig an professioneller Vorgehensmethodik (Pflichtenheft, Geschäftsprozesse) fehlen. Billig soll es immer sein.
HG FS
Unter Gesetzesschutz stehen Projekte schon - aber das Gesetz wirkt nicht präventiv!
Sehr geehrter Herr Schröder,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich glaube aber, Sie haben da etwas in meinen Artikel hineininterpretiert, das da so nicht drin steht.
In dem Artikel geht es nicht darum, ob IT-Projekte unter Gesetzesschutz stehen. Natürlich stehen sie unter Gesetzesschutz und ein Gericht wird im Streitfalle selbstverständlich zu einem konkreten, verbindlichen Ergebnis kommen, was der Lieferant schuldet und wer die Verantwortung für das Entstehen und die Folgen einer Projektschieflage zu tragen hat. Ob das Ergebnis dann befriedigend für die Parteien ist und ob das Ergebnis so prognostizierbar war, als der Vertrag geschlossen wurde, sei dabei einmal dahingestellt.
Der Artikel beschäftigt sich vielmehr mit der Frage, ob das Gesetz für IT-Transaktionen hinreichend konkrete Antworten zu Leistungspflichten liefert, um bei einem Streit über die Leistungspflichten klare Antworten aus dem Gesetz herauslesen zu können und damit Gerichtsverfahren zu vermeiden. Die Botschaft des Artikels ist es, dass die wechselseitigen Pflichten im Konfliktfalle gerade nicht aus dem Gesetz klar und eindeutig herauszulesen sind und es deshalb einer systematischen Vorgehensweise bedarf, zu der eben auch ein hinreichend konkreter Vertrag gehört. Und genau in diesem Punkt scheinen wir einer Meinung zu sein, denn wenn alles im Gesetz stünde, dann würde man kein Pflichtenheft benötigen und Sie würden die fehlende professionelle Vorgehensmethodik nicht rügen.
Soweit Sie der Auffassung sind, dass die Gesetze durch Normen mehr als hinreichend ergänzt werden, muss ich gestehen, dass ich nicht genau verstehe, welche Normen Sie meinen. Sofern Sie sich auf DIN-Normen beziehen, können diese vom Richter zur Leistungsbestimmung herangezogen werden, sind aber rechtlich nicht zwingend und das Gericht kann sehr wohl von ihnen abweichen.
Abschließend möchte ich anmerken, dass es mir in meinen Artikeln um Prävention im IT-Projektmanagement geht. Nach meiner Meinung ist ein Projekt, das vor Gericht verhandelt wird, ein verlorenes Projekt. Weder die Rechtsfolgen einer gerichtlichen Entscheidung, noch die Verfahrendauer sind dazu geeignet, ein Projekt erfolgreich zu sanieren.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Beckers
Hausaufgaben kommen meist zu kurz
Sehr geehrter Herr Beckers,
sehr interessanter Beitrag. Dem ich vor allem unter dem Hinblick des Gesetzesschutzes im speziellen Umfeld der SW Beschaffung nur zustimmen kann.
Als nicht ganz unerfahrener Beteiligter im IT Projektumfeld sehe ich die Problematik, wie vom Vorkommentator angedeutet, in den Hausaufgaben bevor es zu Gericht und in den Streitfall geht. Dies zu vermeiden, eben durch adequates Anforderungs Mgmt vorgängiges und umsetzendes PM , i.e. klare, unmissverstándliche Pflichten- und Lastenhefte und deren entsprechende Vertragsgestaltungen ist das A & O.
Normen helfen bei der Vertragsgestaltung nicht viel weiter. Interessant wäre welche das denn wáren die im Kontext des Artikels greifen würden.
Das "Hausaufgaben machen" begleitet uns seit der Schulzeit und hat (für manchen leider) auch danach immer noch seine Gültigkeit.
MfG
GW
Projekt in Schieflage - Gesetz hilft nicht
Sehr geehrter Herr Schröder,
in meiner mehr als 15 jährigen Tätigkeit u.a. Projektleiter von IT-Projekten mit dem Schwerpunkt SAP sind mir genügend Projekte bekannt, die sich in einer Schieflage befanden und auch oft vor Gericht entschieden wurden. Aus meiner Erfahrung kann ich nur festhalten, dass Projektschieflagen, die vor Gericht verhandelt wurden, nicht saniert werden konnten und hier nur noch die Abwicklung erfolgte. Aus meiner Sicht sind die von Ihnen angesprochenen Normen, Sie meinen wohl die DIN nicht zwingend von Gesetz-Seiten her zu verwenden. Da es sich bei einer Norm um ein Regelwerk handelt, fehlt mir aber noch der Inhalt. Hierbei sind wir aber wieder sicherlich der gleichen Meinung, dass Projektschieflagen u.a. durch ungenaue Leitungsbeschreibungen, fehlendes Projektmanagement, Festlegung der Pflichten des Kunden und Lieferanten entstehen und durch fehlende bzw. ungenaue Verträge.
Der Artikel von Herr Beckers interpretiere ich als Hinweis, im Vorfeld eines Projektes das Regelwerk genau zu beachten und auch die Vertragsgestaltung professionell durchzuführen. Hier kann ich Herrn Beckers nur unterstützen, entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten und immer wieder die wunden Punkte, die er in seinem Artikel angesprochen hat, hinzuweisen.
Ein IT-Projekt vor Gericht ist aus meiner Sicht grundsätzlich ein verlorenes Projekt für beide Seiten (Kläger und Beklagten) und dies nicht nur aus finanzieller Sicht.
Guido W. Stass
Vorstand
CTI CONSULTING AG
http://www.cti-consulting.de