Neelie Kroes und ihre Vorgängerin Viviane Reding haben sich den erfolgreichen Abschluss eines Projekts auf die Fahnen geschrieben, das die Europäische Union mit mehr oder weniger Nachdruck schon seit fast zehn Jahren verfolgt: Die Harmonisierung der Roaming-Gebühren für Mobilfunkkunden: “Ich möchte, dass sich die Diskrepanz zwischen den Gebühren für Roaming und Inlandsgesprächen allmählich gegen Null zubewegt – je früher, desto besser”, erklärte Kroes bereits im September 2010 auf einer Branchenkonferenz, unter anderem vor Vorstandschefs europäischer Telekom-Konzerne.
Genau die wehren sich dagegen aber mit Händen und Füßen und geben jeweils nur so viel her, wie sie unbedingt müssen. Zuerst ging es vornehmlich um die Preise für den SMS-Versand. Nach zahlreichen Verhandlungsetappen und Drohgebärden auf beiden Seiten musste die EU schließlich in mehreren Runden Tarifobergrenzen anordnen.
Der Erlass aus Brüssel bot den Mobilfunkern jedes Mal die willkommene Gelegenheit, sich mit wütendem Geheul gegen die Beschränkungen des Wettbewerbs und der Gewerbefreiheit aufzulehnen – jedoch vergeblich: Weder der zu Hilfe gerufene Bitkom noch der Rechtsweg konnten ihnen helfen. Beim Streit um die Höhe der Gebühren für Gespräche im Ausland wiederholten die Protagonisten die bereits bei SMS eingeübte Choreographie im Wesentlichen – mit ähnlichem Ergebnis.
Aber die streitbare EU-Kommissarin ist mit dem Erreichten noch nicht zufrieden: “Die exorbitanten Roaming-Kosten für ‘Auslandsgespräche’ innerhalb der EU sind ein überholtes Konzept”, bemängelte Kroes kürzlich. Der Grund: Nach wie vor fehle ein funktionierender Binnenmarkt für Telekommunikation in Europa. “Auf einem digitalen Markt, wie ich ihn verstehe, gewährleistet ein effizienter Wettbewerb, dass Anwender keine signifikanten Unterschiede spüren, wenn sie eine Grenze überqueren – sowohl was den Service, als auch die Kosten angeht.” Preisunterschiede dürften ausschließlich von den tatsächlich anfallenden Kosten abhängen. Eine neuerliche gesetzliche Senkung der Höchstpreise sei aber nicht geplant. Wie eine mögliche Regelung aussehen könnte, ließ die Kommissarin zunächst offen.
Jetzt nimmt die EU-Kommission abermals die Neuordnung der Roaming-Tarife in Angriff. Im Mittelpunkt steht diesmal – auch aufgrund des technischen Fortschritts durch Smartphones – das Daten-Roaming. Ergebnisse werden bis Juli 2012 erwartet. Im Interview mit David Meyer von unserer britischen Schwesterpublikation ZDNet erklärt Kroes, welche Argumente sie für ihre Ziele anführt, warum sie in dem Fall nicht an den funktionierenden Wettbewerb glaubt und was sie von den Rechtfertigungen der Provider für die hohen Preise hält.
David Meyer: Warum legen Sie und die Kommission so viel Wert darauf, dass die Datentarife innerhalb von Europa reduziert werden?
Kroes: Das aktuelle Niveau der Tarife für Daten-Roaming lässt sich nicht durch die den Providern entstehenden Kosten rechtfertigen. Es ist schwer nachvollziehbar, warum ein Kunde für den Download von einem MByte in seinem Heimatland ungefähr 5 Cent bezahlt, im europäischen Ausland dagegen 2,60 Euro.
Unter den ungelösten Aufgaben auf dem Weg zu einem echten Binnenmarkt sind Roaming-Gebühren nach wie vor eines der hervorstechendsten Beispiele. Obwohl die Technologie Mobilfunknetze für den breitbandigen Internetzugriff zu verwenden überall in Europa vorhanden ist, nutzen Touristen und Geschäftsreisende deren Potenzial nicht in vollem Umfang – einfach, weil es sie ein Vermögen kosten würde. Einen funktionierenden digitalen Binnenmarkt zu schaffen ist der beste Weg, um auf nachhaltige Art und Weise deutlich geringere Gebühren für Daten-Roaming zu erhalten.
Konkrete Regulierungsvorschläge noch vor dem Sommer
David Meyer: Auf welchem Niveau bewegen sich die Wholesale- und Retail-Tarife innerhalb Europas derzeit und welche Preise streben sie an? Und wie schnell sollen diese Preissenkungen erreicht werden?
Kroes: Bisher hat die EU für Daten-Roaming nur die Wholesale-Preise gedeckelt – also die, die sich die Provider untereinander berechnen dürfen. Es gibt dabei ein großes Problem: Zwar sanken Wholesale-Preise unter den Wert für die Deckelung, die Retail-Preise – also die, die Verbraucher bezahlen müssen – blieben jedoch weit über den Wholesale-Tarifen. Die Kluft ist sogar noch größer geworden. Die Wholesale-Preise wurden von der EU zum 1. Juli 2010 mit 80 Cent pro MByte festgesetzt. Zum 1. Juli 2011 werden sie auf 50 Cent fallen. Obwohl der durchschnittliche Wholesale-Preis für Daten-Roaming mit rund 25 Cent weit darunter liegt, bewegen sich die Retail-Preise weiterhin bei rund 2,60 Euro pro MByte. Das ist eine riesige Marge.
Als Teil der Digitalen Agenda für Europa hat sich die Europäische Kommission zum Ziel gesetzt, Roaming-Gebühren bis 2015 gegen Null zu senken. Das Ziel halten wir dann für erreicht, wenn der Wettbewerb Verbrauchern erlaubt, Roaming-Tarife zu verwenden, die mit den in seinem Heimatland anfallenden Kosten vergleichbar sind. Konkrete Regulierungsvorschläge, um dieses Ziel für Daten, Sprache und SMS zu erreichen, werde ich noch vor dem Sommer dieses Jahres einbringen.
David Meyer: Besteht Hoffnung, dass sich die Preissenkungen auch ohne regulierende Eingriffe durchsetzen lassen?
Kroes: Eigentlich sollten sich günstige Preise durch gesunden Wettbewerb erreichen lassen. Es gibt jedoch genug Belege dafür, dass sich dieser Wettbewerb für Roaming-Services nicht in wesentlichem Umfang entwickelt hat. Ich würde es bei weitem vorziehen, wenn wir uns für das Funktionieren des Marktes ausschließlich auf einen, auf den Kräften des Marktes beruhenden Wettbewerb verlassen könnten. Allerdings hat die Branche bisher wenig Anlass zu der Hoffnung gegeben, dass dieser Fall eintreten wird. Meine Vorschläge werden das Problem daher an der Wurzel bekämpfen: dem fehlenden Wettbewerb. Das ist wichtig, wenn man nicht nur eine vorübergehende, sondern eine grundlegende, strukturelle Verbesserung erreichen will.
Wettbewerb und Marktkräfte versagten beim Mobilfunk
David Meyer: Warum haben Ihrer Ansicht nach der Wettbewerb und die Marktkräfte in diesem Fall versagt?
Kroes: Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Zum Beispiel gibt es keinen echten Wettbewerbsdruck, weil es keine wirkliche Alternative zu Roaming-Diensten gibt. Ein weiterer Grund ist, dass Roaming-Services üblicherweise als Teil eines Mobilfunkvertrags erworben werden. Die Verbraucher achteten in der Vergangenheit bei der Auswahl ihres Mobilfunkanbieters daher zu wenig auf die Preise der Roaming-Dienste. Dadurch entfällt aber der Wettbewerb unter den Providern bei diesem Aspekt des Mobilfunkvertrags. Dazu kommt noch fehlende Transparenz, da der Vergleich von Roaming-Tarifen als Teil von Mobilfunkverträgen eine sehr komplizierte und äußerst langwierige Angelegenheit ist.
David Meyer: Mobilfunkbetreiber verteidigen sich mit dem Argument, dass sie die nationalen Preise anheben müssten, wenn die Roaming-Gebühren gesenkt werden. Außerdem spiegelten Roaming-Gebühren die Kosten wider, die für den Aufbau der Netze und den Geschäftsbetrieb entstehen. Was halten Sie von diesen Argumenten?
Kroes: Erstens zeigt eine Analyse des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation, dass die Kosten zur Bereitstellung von Daten-Roaming-Diensten zwischen 8 und 15 Cent pro MByte liegen – einschließlich der Kosten für den Netzaufbau. Angesichts der derzeitigen Höhe der Tarife für Verbraucher profitieren die Betreiber von sehr hohen Margen. Ich sehe daher keinen Grund dafür, warum die Kosten für inländische Dienste steigen müssen, wenn die Roaming-Gebühren reduziert werden.
Zweitens denke ich, dass die Marktkräfte in den nationalen Märkten funktionieren. In diesen Märkten würden Verbraucher Preiserhöhungen nicht hinnehmen. Drittens sprechen auch die Erfahrungen der Vergangenheit dagegen. Denn das Gegenteil ist der Fall: Die Tarife für inländische Mobilfunkdienste sind trotz der von der EU verordneten Deckelung für Roaming-Gebühren kontinuierlich gesunken. Auch das Argument, dass die Einnahmen aus den hohen Roaming-Gebühren für Investitionen in bessere Netze genutzt würden, scheint nicht zuzutreffen.
David Meyer: Sie haben es mit der Deckelung bereits geschafft, die Roaming-Gebühren in Europe zu senken. Wäre das auch für andere Länder ein lohnenswertes Ziel?
Kroes: Die Roaming-Gebühren innerhalb der EU zu reduzieren ist schon eine gewaltige Aufgabe. Ich würde es natürlich begrüßen, wenn auch die Preise für Roaming außerhalb der EU fielen. Aber wir müssen auch die Souveränität anderer Länder respektieren, ihre eigenen Regeln zu machen.
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