Es ist vielmehr eine Messe von und für Agenturen. Die Frauen sind jung und hübsch anzuschauen: Sie lächeln und kleiden sich verkaufsfördernd. Die Männer sind ebenfalls jung und schauen aus, wie es verkaufsfördernd lächelnde Frauen wohl gerne sehen: Sie haben sich ihre Schädel rasiert, tragen Schwarz und Brillen mit Horngestellen. Die zur Schau gestellte Myopie scheint, als Ausweis des Intellekts zu gelten.
Trotzdem kann auch so eine der Oberflächlichkeit frönende Veranstaltung recht erhellend sein: Man müsse “uniquen Content” generieren, erklärt ein Schwarzgewandeter vor seiner Power-Point-Präsentation, damit die User das bei Facebook “liken”. “Aha”, denkt man sich, und ein Licht geht einem auf: Wir befinden uns also in der 4. Phase des Informationszeitalters.
Phase 1, das war das Zeitalter der Mainframes. Über die sprach man im gepflegten Englisch. Schließlich lagen die Zentren der Mainframe-Welt in den Neuengland-Staaten der USA oder doch zumindest in deren Nähe.
Deutsch war durchaus auch gebräuchlich, das Wort “Großrechner” beispielsweise, welches keinen großen Rechner meinte, sondern eben einen Mainframe. Nie aber hätte man damals Deutsch und Englisch gemischt, weshalb denn auch die IT-Abteilungen seinerzeit noch mit EDV befasst waren.
In der Phase 2, der PC-Ära, sah man das schon sehr viel lockerer. Die Rechner wurden mit englischem Wortstamm und deutscher Konjugation “gebootet”, und – weil sie unter Windows liefen – das recht häufig.
In Phase 3, dem beginnenden Internet-Zeitalter, wurde dieser Radebruch sogar offiziell anerkannt: “googeln” steht seither im Duden.
Und jetzt also die 4. Phase. Die Sprache ist alphanumerisch: Man könnte demnach durchaus von der Web-2.0-Ära sprechen. Alle etymologischen Grenzen sind überwunden. Wörter werden nach Bedarf aus den Modulen erstellt, die ein großer multilingualer Baukasten bereithält. Man muss sich das vorstellen wie Esperanto – nur ohne Regeln.
Na ja, vielleicht kann das ja auch ganz nett und ausdrucksstark sein, etwa wenn man die politischen Themen einer Woche Revue passieren lässt.
Die Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg: Ministerpräsident wird wohl Winfried Kretschmann. Den bezeichnet der Patriarch des schwäbischen Maschinenbaus Berthold Leibinger – laut Süddeutscher Zeitung vom 29.3. – als einen “braven Mann”. Angefangen hat Kretschmann beim Kommunistischen Bund Westdeutschland.
Heute ist er konservativ und bei den Grünen. Und als erster von der Ökopartei gestellter Regierungschef wird er einmal bei der EnBW, dem größten hiesigen Atomkonzern, das Sagen haben.
Wie soll man so eine bizarre Situation auf den adäquaten schrägen Begriff bringen? – Es war wohl tatsächlich “uniquer Content”, den schwäbische und badische Wähler da letzten Monat generiert haben.
Apropos schräg: Guido Westerwelle hat diese Woche ja auch aufgegeben. Die anderen Spitzen seiner Partei haben ihn in jüngster Zeit gar nicht mehr so geliket. Und mit Philipp Rösler hat die FDP bereits einen neunen Vorsitzenden designiert. Jetzt muss nur noch auf die Schnelle programmatisch etwas uniquer Content her.
Doch. Ist vielleicht ganz praktisch, dieser Radebruch, vor allem, wenn einem die Ereignisse die gepflegte Sprache verschlagen.
BTW: Den uniquen Content dieses Wochenrückblicks kann man auch twittern, sharen und liken. Einfach die Buttons pressen.
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