Ein Osterspaziergang im rechtsfreien Raum
Seit ein paar Wochen hat Deutschland ja einen neuen Innenminister. Hans-Peter Friedrich heißt der.
Man sollte ihm den Posten gönnen. Nicht dass ihn irgend etwas dafür besonders qualifizierte. Aber er war wohl einfach an der Reihe.
Und wenn er sich still verhält, stört er auch nicht weiter. Peinlich wird’s nur, wenn er geschichtsphilosophische Überlegungen anstellt.
Jetzt hat er sich auch noch zur Vorratsdatenspeicherung geäußert. Die bräuchte es, meint er, sonst entstünde ein rechtsfreier Raum, was nicht hinzunehmen sei.
Was man halt so sagt als Innenminister. – Der übliche Unsinn, im einschlägigen, staatstragenden Politiker-Slang.
Auch Joseph Massino, genannt “Das Ohr”, hat sich dieser Tage zum rechtsfreien Raum erklärt. Jener ist sehr viel kompetenter, wenn’s um Rechtsbruch geht. Denn er ist kein Innenminister, sondern ein Ex-Mafia-Boss. Der erste, der beim FBI ausgesagt hat.
Wenn Seinesgleichen abhörsicher kommunizieren wollen, würden sie kein technisches Gerät dazu verwenden, hat er erläutert. Sondern dann müsse man spazieren gehen.
Demnach wäre also beispielsweise der Englische Garten in München so ein rechtsfreier Raum, weil sich’s da so wunderbar spazieren lässt.
Und genau besehen, hat er da völlig recht, der Mafioso. Der Englische Garten war das schon immer.
Eröffnet wurde er just im Jahr 1789, als die Franzosen sich das erkämpften, was das Ancien Régime als rechtsfreien Raum betrachtete. Und damit’s die Münchner ihnen nicht nachtun, öffnete Herzog Carl Theodor – ein ungeliebter Fürst, der ursprünglich das herrliche Bayern gegen die platten Niederlande tauschen wollte – den Park für das Volk. Seitdem haben die Münchner ihren eigenen, lokalen rechtsfreien Raum.
Seit den 1960er Jahren etwa ziehen sich einige Münchner und – was besonders hübsch anzuschauen ist – auch Münchnerinnen zum Sonnenbaden am Eisbach im Englischen Garten völlig aus. Gegen derartige Freiheiten trat in der 8. Legislaturperiode des bayerischen Landtags ein junger Abgeordneter Namens Dr. Edmund Stoiber an, dem Nackerte noch suspekter waren als dem Carl Theodor Demokraten.
Die Polizei allerdings beschied ihn, man könne nichts dagegen unternehmen, weil Nackte schließlich keinen Personalausweis bei sich tragen (Englisch: ID, vergleichbar der IP im Internet). Und so hat er sich denn etabliert, der rechtsfreie Raum – im Herzen des Freistaats.
Geschadet hat’s niemandem. Die Tourismusbranche in der bayerischen Landeshauptstadt boomt. Und zu jeder ordentlichen Stadtführung gehört heute ein Abstecher an den Eisbach, wo die Fremden die Pracht des textil- und rechtsfreien Raums bestaunen können.
Ein Schild am Eisbach wies lange darauf hin, dass Surfen verboten sei. – Gemeint ist mit dem Brett, nicht mit dem Browser. – Aber niemand hat sich daran gehalten. Herausgekommen ist dabei eine Touristenattraktion.
Hunde sind im Englischen Garten an der Leine zu führen. Aber Zamperl können halt genauso wenig lesen wie Surfer.
Eine weitere Sehenswürdigkeit, an der man gerne vorbeispaziert ist der Monopteros, ein der Antike nachempfundener Musentempel, der in den 70er ganz in den harzigen Duft gehüllt war, den der Rauch afghanischer, libanesischer oder marokkanischer Textilpflanzen verströmte.
Auch das hat die Polizei meist geduldet. Befindet sich doch nur wenige Gehminuten entfernt ein Platz, an dem ein in Bayern traditionsreicheres Rauschmittel angeboten wird, und zwar nicht gramm-, sondern gleich literweise: der Biergarten am Chinesischen Turm. Die hierfür einschlägige Rechtsvorschrift ist nicht das Betäubungsmittelgesetz, sondern das Reinheitsgebot. Und das sieht weder für Verkauf, noch Konsum Strafen vor. Am Chinesischen Turm endet denn meist auch ein Frühlingsspaziergang – geplant oder spontan.
Und wenn man da so sitzt und das Sonnenlicht bricht sich an der schaumgekrönten, güldenen Flüssigkeit im prächtigsten aller Trinkgefäße, dann sinniert man halt gerne so vor sich hin: “Das Internet – ein rechtsfreier Raum?” geht einem da schon einmal durch den Kopf, “so ein Blödsinn!”
Das Internet ist im Gegenteil ein Raum, in dem das Recht konsequent wie sonst nirgendwo durchgesetzt wird, Promotionsordnungen etwa. Und das hat weitreichende politische Implikationen.
Denn: Wo hat es so was schon mal gegeben, dass CSU und FDP das gleiche Problem haben und jenes nicht Angela Merkel heißt, sondern wahlweise Karl-Theodor zu Guttenberg oder Silvana Koch-Mehrin? Wie sonst ließen sich die Leistungsnachweise der extrovertiertesten Leistungsträger-Darsteller überprüfen als über das Internet? Wenn das nicht recht ist!
Das würd’ man ihm doch mal gern sagen, dem Minister. Wenn er jetzt vorbeikäm’, dann tät man ihn rufen: “Geh’ her, Minister! Hock dich hin. Das Bier ist gut. Das steigt in den Kopf. Und bei dir hat’s da ja wohl noch Platz. Trink was, weil: Solang du trinkst, red’st wenigstens keinen Unsinn daher.”