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Reliquien und Royals in der Informationsgesellschaft

Etwa so: Regelmäßig thematisieren die Top-News völlig neuartige Wissensquellen, die die IT dem Menschen erschließt. Die Politik ist geprägt vom Internet-basierten Diskurs rationaler, weil informierter Bürger. Und viele kluge Artikel befassen sich kritisch mit der Voraussetzung all dessen: der informationstechnischen Infrastruktur der Gesellschaft.

Kurz: 500 Jahre nach dessen Ende ist das Mittelalter auch inhaltlich überwunden. Aberglaube, Untertanengeist und andere Dumpfbackigkeiten gehören endgültig der Vergangenheit an, weil der Computer sein emanzipatorisches Potential entfalten konnte.

Montags, ganz früh, ist man als Schreiber dann immer mit der wirklichen Nachrichtenlage konfrontiert, wenn man sich durch Google News klickt, um zu sehen, mit welchen Themen man denn diese Woche ein paar Euros machen könnte.

Osama Bin Laden steht diesmal ganz oben. 17.131 Artikel befassen sich mit dem Mann, der schuld am Tod Tausender Menschen ist. Vorratsdatenspeicherung und Anti-Terrorgesetze – über deren Verlängerung wieder einmal diskutiert wird – wurden mit Hinweis auf ihn beschlossen, Kriege mit dieser Begründung geführt. Die Nachricht, dass er getötet wurde, ist sicherlich die wichtigste in dieser Woche.

Noch mehr Beiträge – 29.776 – allerdings listet Google zur Heirat von Kate Middleton, jetzt: Catherine, Duchess of Cambridge, und William Arthur… Mountbatten-Windsor, jetzt: Duke. Von wegen rationale Bürger! Offenkundig finden’s viele als Untertanen sehr viel kuscheliger.

Und man sollte das auch nicht als typisch britische Marotte abtun. In Deutschland ist Ähnliches schließlich nur aus Mangel an seriösem Personal gescheitet.

Auf 1600 Artikel bringt es der Baron Karl-Theodor… derzeit bei Google News. Die jüngste Nachricht muss man wohl so interpretieren, dass der deutsche Märchenprinz auf 94 Prozent der Seiten seiner Dissertation aus schierem Versehen abgeschrieben hat.

Die Zeitungsbeiträge zur königlichen Hochzeit übrigens sind trotzdem sehr erhellend. Die Duchess habe ein Kleid “mit geradezu aufreizend dezentem Dekolleté” getragen, steht in der Süddeutschen vom Wochenende. Zu solch gepflegten Formulierungen, ist ein Feuilletonist in der Lage, seine Vasopressin-Schübe zu sublimieren!

Das muss wohl jener deutsche Qualitätsjournalismus sein, den Jürgen Habermas kürzlich im selben Blatt lobte. Hätte es einen Bild-Schreiber gepackt, hätte er sicherlich ein Lupen-Symbol und eine Ausschnittvergrößerung ins Foto eingeklinkt.

Es folgt Karol Wojtyla, jetzt: der selige Johannes Paul II. mit 6106 Artikeln zu Wochenbeginn. Sein Nachfolger Joseph Ratzinger, mittlerweile: Benedikt XVI., ist abgebildet, wie er ein in Edelmetall eingefasstes Reagenzglas mit Körperflüssigkeit des Toten küsst. Das wird künftig als Reliquie verehrt. – Spätestens jetzt ist einem klar, dass man sich Illusionen über die Informationsgesellschaft gemacht hat.

Aber Schlagzeilen zu einem IT-Thema gibt’s dann doch noch, zum weißen iPhone 4, konkret dazu, wie dick es denn ist. – 1036 Artikel. – Technorati geht der Frage nach, “why the White iPhone 4 is 200 Microns Thicker”. Wired hingegen nimmt, wenn auch von Zweifeln geplagt, die Gegenposition ein: “Das weiße iPhone 4 ist nicht wirklich dicker als das schwarze Modell… Oder vielleicht doch?”

Die deutschen Apps-News wiederum vertreten die These von einem “dickeren Farbauftrag”. Und “Hot Hardware” schließlich warnt vor einem “Thickness-Gate”, dem zweiten seiner Art nach dem “Antenna-Gate”. Zum Vergleich: Um einen US-Präsidenten zu stürzen, genügte ein einziges Watergate.

USA Today, CNN International und die Washington Post aber stellen schließlich mit Hinweis auf Apples Marketing-Chef Phil Schiller klar, dass keine Unterschiede existieren. Und Fast Company konkludiert: “In Weiß sieht jeder fetter aus, auch das iPhone.”

Na, ja, gut, dass das jetzt geklärt ist. Das iPhone, das isses. Es wird mindestens so verehrt wie eine Reliquie. Es verleiht seinem Besitzer Noblesse und Vorratsdaten speichert es auch.

Das iPhone ist zweifelsohne das spektakulärste Gerät der heutigen Informationsgesellschaft. Und es ist stets für eine Nachricht gut. Immerhin! Aber, wie gesagt, eigentlich hatte man es sich immer ganz anders vorgestellt.

Silicon-Redaktion

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