Hintergrund
2011 wird ein europaweiter Zensus durchgeführt, an welchem die Bundesrepublik Deutschland teilnimmt. Anders als noch bei der letzten Volkszählung 1987 werden die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr direkt befragt (Primärerhebung), sondern es werden überwiegend die in den Registern der Verwaltung vorhandenen Daten genutzt (registergestützte Erhebung). Direkte Befragungen sollen nur noch stichprobenartig erfolgen. Durch diesen Methodenwechsel in der Erhebung soll eine weitrechende Befragung der Bürger entbehrlich sein und dadurch das gesamte Verfahren bürgerfreundlicher und kostengünstiger gestaltet werden.
Beim Begriff Volkszählung liegt die Assoziation mit dem sogenannten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1983 (BVerfGE 65, 1 ff) natürlich nahe. Damals wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus der Taufe gehoben. Sowohl das Volkszählungsurteil als auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müssen zu den “tragenden Säulen des deutschen Datenschutzes” (Peter Schaar) gezählt werden.
Das Volkszählungsgesetz von 1983 wurde damals für verfassungswidrig erklärt und die geplante Volkszählung gestoppt. Erst 1987 konnte sie durchgeführt werden.
Dass seitdem in Deutschland keine Volkszählung mehr durchgeführt worden ist, macht den Zensus 2011 umso interessanter; nicht zuletzt, weil das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil auch einer registergestützten Volkszählung skeptisch gegenüber gewesen ist beziehungsweise hierfür besondere Anforderungen formuliert hat. So heißt es im Volkszählungsurteil:
“Auch die Übernahme sämtlicher Daten aus bereits vorhandenen Dateien der Verwaltung ist keine zulässige Alternative zu der vorgesehenen Totalzählung. Denn die Nutzung von Daten aus verschiedenen Registern und Dateien würde voraussetzen, [dass] technische, organisatorische und rechtliche Maßnahmen getroffen werden, die es erst erlauben, diese Daten, bezogen auf bestimmte Personen oder Institutionen, zusammenzuführen.” (BVerfGE 65, 1 (56) )
Der europaweite Zensus 2011
Die Vereinten Nationen empfehlen zu Beginn eines jeden Jahrzehnts ihren Mitgliedsländern Volkszählungen durchzuführen und folgen damit einer Praxis, die über den Völkerbund bis hin zum Statistischen Kongress von 1872 in Sankt Petersburg zurückreicht.
Dementsprechend rief die Europäische Union (EU) zur Jahrtausendwende 2000/2001 ihre Mitgliedsstaaten zu freiwilligen Volkszählungen auf. Für die Europäische Kommission war das Ergebnis dieses, von ihr selbst so bezeichneten “Gentlemen’s Agreement” indes mangels Beteiligung nicht befriedigend (Begründung des Vorschlags für die Verordnung (EG) Nr. 763/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates). Denn Deutschland und Schweden folgten diesem Aufruf erst gar nicht und bei den übrigen teilnehmenden Staaten variierten die Stichtage der Volkzählungen und die Bereitstellungen der Ergebnisse so sehr, dass die Qualität der Daten darunter litt. Nicht zuletzt waren nach Kommissionsangaben die Datensätze unvollständig. Die EU hat in der Folge durch die Verordnung (EG) Nr. 763/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates die Mitgliedstaaten zur Teilnahme am Zensus 2011 verpflichtet.
Nutzen von Volkszählungen
Volkszählungen wurden bereits im alten Babylon durchgeführt und sind somit so alt wie die Existenz von Staatswesen. Heutzutage erschöpft sich ihr Nutzen nicht mehr in der Erfassung aller waffenfähigen Männer. Ihr Nutzen liegt in der Generierung von Basisdaten über Bevölkerung, Erwerb und die Wohnungssituation. Auf dieser Statistik wiederum basieren alle wesentlichen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Planungsprozesse. Von der Einteilung von Wahlkreisen bis hin zur Vergabe von Mitteln aus dem EU-Strukturfonds stammen die Planungsgrundlagen aus der Statistik.
Die gewonnen Datensätze verlieren ohne Aktualisierungen an Qualität. Europäische Integration, Wiedervereinigung, Migration und eine zunehmend mobile Gesellschaft sorgen in Deutschland für Wandel. Das Statistische Bundesamt schätzte 2007, dass in Deutschland ca. 1,3 Millionen Menschen mehr lebten, als über der damals vermuteten Bevölkerungszahl. Der tatsächliche Anteil der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer sei zudem um eine halbe Million geringer als vermutet. Dafür seien die seit der letzten Volkszählung fortgeschriebenen Wohnungszahlen wahrscheinlich stark überhöht. Letzterer Aspekt ist gerade im Hinblick auf steigende Mieten in den Ballungsgebieten interessant, ist doch der angemessene Zugang zu Wohnraum ein wichtiges sozialpolitisches Anliegen.
Volkszählungen haben natürlich auch ihren Preis. Der deutsche Gesetzgeber schätzte die Kosten für die Durchführung des Zensus 2011 auf 527,81 Millionen Euro. Davon entfallen auf den Bund Kosten von 44,81 Millionen Euro und auf die Länder 483 Millionen Euro.
Die Vorbereitungsphase
Die Durchführung des Zensus 2011 wurde in Deutschland bereits mit dem “Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011” (ZensVorbG 201) eingeleitet.
Zu diesem Zweck wurden zu jeder Wohnanschrift mehr als 30 verschiedene Angaben der Vermessungs- und Meldebehörden sowie von der Bundeagentur für Arbeit an das Statistische Bundesamt übermittelt. Diese wurden in separaten Registern zusammengefasst. Die Spannweite dieser Daten umfasst beispielsweise die Anzahl der Wohnungen oder Funktion von Gebäuden, aber auch die Anzahl von Ausländern und Arbeitslosen je Anschrift.
Das Anschriften- und Gebäuderegister musste für die Durchführung des Zensus spätestens seit dem 31.12.2010 nutzbar sein.
Sicherheit während der Vorbereitungsphase
Schon im Volkszählungsurteil war das Thema Datensicherheit zentrales Element. Das ZensVorbG 2011 verweist zum Zwecke der Geheimhaltung der Einzelangaben über persönlich und sachliche Verhältnisse auf das “Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke” (BStatG). Dieses regelt für Daten der Statistik den Umfang der Geheimhaltungspflicht der Amtsträger und des besonders verpflichteten öffentlichen Dienstes. Entsprechend den Vorgaben aus dem Volkszählungsurteil wird somit sichergestellt, dass Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse, die für den Aufbau des Anschriften- und Gebäuderegisters sowie des Ortsverzeichnisses erhoben werden der strikten Geheimhaltung unterliegen, solange ein Personenbezug noch besteht oder herstellbar ist.
In dem Volkszählungsurteil heißt es hierzu:
“Für den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist – und zwar auch schon für das Erhebungsverfahren – die strikte Geheimhaltung der zu statistischen Zwecken erhobenen Einzelangaben unverzichtbar, solange ein Personenbezug noch besteht oder herstellbar ist (Statistikgeheimnis).” (BVerfGE 65, 1 (49))
Die beteiligten Stellen werden darüber hinaus dazu verpflichtet durch technische und organisatorische Maßnahmen zu gewährleisten, dass die Angaben bei der elektronischen Übermittlung oder während ihres Transports oder ihrer Speicherung auf Datenträger nicht unbefugt gelesen, kopiert, verändert oder entfernt werden können.
Die Durchführungsphase
Nachdem durch das ZensVorbG 2011 die Infrastruktur für die zentrale Erfassung geschaffen worden ist, regelt das “Gesetz über den registergestützten Zensus im Jahre 2011” (ZensG 2011) nun die eigentliche Volkszählung. In § 1 des Gesetzes werden die Quellen der benötigten Angaben zusammengefasst. Hier besteht überwiegend Deckung mit dem ZensVorbG 2011, so dass die ergänzenden, insbesondere die stichprobenartige Befragungen der Bürger nun in den Fokus gerückt werden sollen. Hierzu führen die statistischen Ämter der Länder bei 10 Prozent der, durch ein mathematisches Zufallsverfahren ermittelten, Bevölkerung Haushaltsbefragungen auf Stichprobenbasis durch.
Die Teilnahme erfolgt durch Ausfüllen eines papiernen Fragebogens und dessen Rücksendung oder über einen Online-Fragebogen. Die Verweigerung an der Teilnahme kann zu einem Bußgeld führen.
Hintergrund für die Stichproben ist, dass ein im Jahr 2001 durchgeführter Zensustest gezeigt habe, dass die Daten der Melderegister zum Teil fehlerhaft seien. Durch Stichproben lasse sich dabei Art und Umfang der Fehler feststellen und auf ihrer Grundlage statistisch korrigieren.
Bei der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl aus den Daten der Melderegister wird eine Fehlerquote angestrebt, die höchstens 0,5 Prozent beträgt. Bei der Erhebung von Zensusmerkmalen, die nicht aus Verwaltungsregister gewonnen werden können, soll höchstens ein Prozent Fehlerquote erreicht werden (Begründung des Entwurfs für das Gesetz zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzes). Diese Ziele orientieren sich an der Genauigkeit von gut durchgeführten traditionellen Volkszählungen.
Die mehr als 20 ergänzenden Erhebungs- und Hilfsmerkmale, nach welchen gefragt werden, sind in § 7 des ZensG 2011 aufgelistet. Hierzu zählen beispielsweise die Stellung im Beruf, der höchste berufliche Bildungsabschluss, aber auch die rechtliche Zugehörigkeit zu einer öffentlichen-rechtlichen Religionsgemeinschaft und dem Bekenntnis zu einer Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung. Dabei sind Angaben zu Religions- und Glaubensfragen, als einzige überhaupt, freiwillig und können somit verweigert werden.
Die Stichproben werden durch sogenannte Erhebungsbeauftragte (Interviewer) durchgeführt. Dies können Bedienstete aber auch ehrenamtliche Bürger sein. Das Gesetz normiert in diesem Zusammenhang, dass die Erhebungsbeauftragten schriftlich zu verpflichten sind, auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit, das Statistikgeheimnis zu wahren und auch solche Tatsachen geheim zu halten, die im Zusammenhang mit der Erhebungstätigkeit bekannt werden. Zudem dürfen Erhebungsbeauftragte nicht in der unmittelbaren Nähe ihrer Wohnung eingesetzt werden. Ist auf Grund der beruflichen Tätigkeit oder aus anderen Gründen zu befürchten, dass Erkenntnisse aus der Erhebungstätigkeit zum Schaden der auskunftspflichtigen Person genutzt werden, dann darf eine solche Person nicht eingesetzt werden.
Sicherheit bei der Datenübermittlung
§ 20 ZensG 2011 fordert, die Datenübermittlung im Wege der Datenfernübertragung dem jeweiligen Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zur Gewährleistung von Datenschutz und Datensicherheit anzupassen, die insbesondere die Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität der Daten gewährleisten.
Im Falle der Nutzung allgemein zugänglicher Netze sind dem jeweiligen Stand der Technik entsprechende Verschlüsselungsverfahren anzuwenden.
Löschungspflichten
Ebenfalls in dem Gesetz geregelt ist die möglichst frühe Trennung und gesonderte Aufbewahrung der Datensätze sowie deren Löschung, sobald ihre Kenntnis für die Erfüllung der Aufgabe auf dem Gebiet der Statistik nicht mehr erforderlich ist. Eine weitergehende Nutzung dieser Daten ist nicht vorgesehen. Hierbei wird der Forderung des Bundesverfassungsgerichts im Volkszählungsurteil Rechnung getragen, wonach “die zur Identifizierung dienenden Merkmale (insbesondere Namen, Anschriften, Kenn[n]ummern und Zählerlistennummern) […] zum frühest möglichen Zeitpunkt zu löschen und bis dahin von den übrigen Angaben getrennt unter Verschluss zu halten sind.” (BVerGE 65, 1 (59))
Kritik
Der Zensus 2011 stößt in Deutschland auf Kritik. Diese ist jedoch nicht mit der öffentlichen Auseinandersetzung um die letzte Volkszählung zu vergleichen.
Eine durch den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AKV) eingereichte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht wurde jedoch nicht zur Entscheidung angenommen. Der nach § 92 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) genau zu bezeichnende angegriffene Hoheitsakt habe nicht vorgelegen. Bei Verfassungsbeschwerden gegen Rechtsnormen reiche es regelmäßig nicht aus, das gesamte Gesetz zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde zu machen (BVerfGE 109, 279 (305)).
Auf der Seite zensus11.de auf welcher der AKV zum Stopp der Volkszählung aufruft, werden einige Kritikpunkte aufgeführt.
So müsse ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung Erkundigungen im familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld erdulden und das Missbrauchspotential einmal angelegter Datensammlungen sei enorm und würde wegen seiner zentralen Verfügbarkeiten Begehrlichkeiten wecken. Denn, technisch gesehen, werde ein zentral abrufbares Persönlichkeitsprofil aller in Deutschland ansässigen Personen existieren.
Zudem erfolge die teilweise Zusammenführung sensibler personenbezogener Daten aus unterschiedlichen Quellen nicht nur ohne Einwilligung der Betroffenen, sondern stelle auch noch eine Zweckentfremdung dieser Daten dar.
An dieser Stelle soll keine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit den dargestellten Kritikpunkten erfolgen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gilt nicht schrankenlos und kann durch ein einfaches Gesetz Eingriffe erfahren. Insbesondere muss der Einzelne Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen (BVerfGE 65, 1 (43, 44)). Die Bedeutung von Volkszählungen wurde zudem im Volkszählungsurteil ausdrücklich hervorgehoben. So heißt es:
“Die Statistik hat erhebliche Bedeutung für eine staatliche Politik, die den Prinzipien und Richtlinien des Grundgesetzes verpflichtet ist. […] Erst die Kenntnis der relevanten Daten […] schafft die für eine am Sozialstaatsprinzip orientierte staatliche Politik unentbehrliche Handlungsgrundlage.” (BVerfGE 65, 1 (47) )
Fazit
Der registergestützte Zensus erfolgt bei weitem unsichtbarer als die vorangegangene Primärerhebung von 1987. Tatsächlich bewegen sich jedoch enorme Datenmengen hinter den Kulissen und werden in Registern zusammengeführt. Dass dies, trotz des unbestrittenen Nutzens von Volkszählungen, bei einigen für Kritik sorgt liegt auf der Hand. Der Gesetzgeber hat jedoch soweit ersichtlich dafür Sorge getragen, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben insbesondere des Volkszählungsurteils bei der Erfüllung der EU-Verordnung Nr. 763/2008 umgesetzt wurden.
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