silicon.de: Frau Rogall-Grothe, bevor wir auf neue Formen der verwaltungsbasierten Bürgerbeteiligung im Netz zu sprechen kommen, noch ein aktuelles Thema. Nach den neuesten Datenschutzskandalen etwa bei Sony und den zunehmenden Angriffen auf kritische IT-Infrastrukturen hat nun in Bonn eine Zentrale für Cyberkriminalität die Arbeit aufgenommen. Das klingt allerdings nicht ganz neu. Was versprechen Sie sich davon, wie lässt sich der Wettlauf gegen Cyber-Kriminelle denn gewinnen?
Rogall-Grothe: Das seit dem 1. April im Aufbau befindliche Cyber-Abwehrzentrum ist eine Einrichtung des Bundes, die sich gegen jede mögliche Art von Cyber-Attacken richtet. Unser Hauptanliegen ist der Schutz kritischer Infrastrukturen, weil davon das gesellschaftliche Leben und auch der Wohlstand Deutschlands abhängig sind. Da sich Cyber-Attacken aus dem Internet nicht völlig verhindern lassen, besteht die Aufgabe des Cyber-Abwehrzentrums darin, die Auswirkungen von Cyber-Attacken möglichst gering zu halten. Dazu werden neueste Angriffsmechanismen evaluiert sowie Schutzmechanismen entwickelt und umgesetzt. Experten verschiedener Behörden arbeiten im Cyber-Abwehrzentrum eng zusammen. Davon verspreche ich mir, dass wir noch effektiver gegen Cyber-Gefahren vorgehen können.
silicon.de: In Bonn existieren bereits unterschiedliche Aktivitäten, die unter anderem vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) koordiniert werden. Stellt denn diese neue Cybercrime-Superbehörde nicht eine Art von Bürokratiemonster dar, das weiteres Gerangel um die Zuständigkeiten und Kompetenzen nach sich zieht?
Rogall-Grothe: Nein. Wir schaffen keine neue Behörde, schon gar nicht eine ‘Superbehörde’! Das Cyber-Abwehrzentrum ist eine gemeinsame Arbeitsplattform und Informationsdrehscheibe. Verschiedene Bundesbehörden bringen sich mit ihrem Know-how und Personal in die Arbeit des neuen Cyber-Abwehrzentrums ein, bewahren aber ihre Aufgaben und Verantwortung. Das trägt der vernetzten Struktur der Cyber-Sicherheit optimal Rechnung und schließt ein Gerangel um Zuständigkeiten und Kompetenzen aus.
silicon.de: Nun aber zum eigentlichen Thema unseres Gesprächs. Auf der Kongressmesse Effizienter Staat Anfang Mai haben Sie in Ihrem Vortrag skizziert, wie das Internet unsere Kultur und das soziale Miteinander bereits verändert hat. Sie sagten, auch die Verwaltung müsse sich diesem permanenten internen Veränderungs- und Verbesserungsprozess stellen. Vielen Aktivisten aus der Netzgemeinde geht das nicht rasch genug, wie gehen Sie denn mit dieser Kritik um, die notwendigen Veränderungen zu behäbig einzuleiten?
Rogall-Grothe: Für die ‘Netzgemeinde’ ist das verständlich. Die Weiterentwicklung der Verwaltung ist aber nicht von heute auf morgen möglich, wenn wir nicht Beteiligungsbedürfnisse über Bord werfen wollen. Nehmen Sie das Projekt Open Government: Wir müssen hierbei viele Akteure an einen Tisch bringen und uns auf eine schrittweise Umsetzung konzentrieren. Das BMI nimmt hier eine wichtige koordinierende Funktion ein, um – angefangen von den Begriffen, bis hin zu komplizierten rechtlichen und technischen Fragen – gemeinsame Antworten zu finden. Das braucht Zeit, aber wir befinden uns auf einem guten Weg.
silicon.de: In Baden-Württemberg hat sich die grün-rote Landesregierung für die Einführung eines neuen Informationsfreiheitsgesetzes ausgesprochen, das sich an den Kriterien von Open Data orientieren soll. Ist es überhaupt realistisch, dass Bürger künftig in verstärktem Maße freien Zugang zu Informationen aus den öffentlichen Verwaltungen erhalten?
Rogall-Grothe: Das Informationsfreiheitsgesetz ist mit dem Gedanken des ‘Anspruchs auf Informationszugang auf Antrag’ ein bedeutender Meilenstein, um Open Government zu fördern. Ich meine auch, dass es seine Funktion bislang gut erfüllt. Gegenwärtig wird das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes umfassend nach rechtswissenschaftlichen sowie sozialwissenschaftlich-empirischen Gesichtspunkten evaluiert. Wenn wir die Ergebnisse kennen, wird sich zeigen, ob und gegebenenfalls wo noch Verbesserungsbedarf besteht.
silicon.de: In welcher Form und bis zu welcher Intensität könnten Informationen zugänglich gemacht werden, wo liegen die Grenzen?
Rogall-Grothe: Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einer Strategie, um Antworten zu finden – unter anderem auch zu Form und Intensität der Datenöffnung sowie zu Fragen der Lizenzen und Kosten. Es gilt, Kriterien für Open Data für die deutsche Verwaltung zu entwickeln und festzulegen. Rechtliche Schranken liegen insbesondere beim Schutz von personenbezogenen Daten, sicherheitsrelevanten Daten bzw. Privat-, Betriebs-, oder Dienstgeheimnissen.
silicon.de: Schließt dieser Öffnungsprozess auch neue Formen in der netzbasierten Bürgerbeteiligung auf Basis von Web-2.0-Technologien ein?
Rogall-Grothe: Der Öffnungsprozess schließt auch neue Beteiligungsformen ein. Hier gibt es schon gute Beispiele, auf Bundesebene etwa das E-Konsultationsverfahren oder Foren zur Einbeziehung der Bürger in aktuelle politische Themen. Aber auch die Kommunen und Länder gehen einen guten Weg mit den Bürgerhaushalten oder Kooperationsplattformen, bei denen Bürger die Verwaltung auf Missstände bei Infrastrukturen wie Straßen, Laternen etc. aufmerksam machen können.
silicon.de: Zu Ihren Aufgaben gehört es unter anderem, bis zum kommenden Jahr einen strategischen Leitfaden für die Verwaltungen zum Umgang mit Social Media zu erstellen. Was dürfen die Nutzer darin erwarten?
Rogall-Grothe: Für die Bundesverwaltung planen wir, Handlungsempfehlungen zum Umgang mit sozialen Medien zu erstellen, um deren Nutzen, Grenzen und Risiken zu verdeutlichen. Dabei geht es um eine Sensibilisierung der Mitarbeiter in der Verwaltung. Aber auch die internen Abstimmungsprozesse werden sich beim Einsatz dieser Medien verändern…
silicon.de: … erlauben Sie mir eine kurze Zwischenfrage: Wie nutzen Sie und Ihre Familie denn persönlich die sozialen Medien, eher nur passiv oder auch aktiv?
Rogall-Grothe: Ich nutze und schätze die schnelle und direkte Kommunikation im Internet, bin aber noch nicht Facebook – oder Twitter-Nutzerin.
silicon.de: Zurück zum Thema Open Government – Wie schätzen Sie denn die Zukunftsperspektiven in der sozialen Mediennutzung ein? Einige Länder wie etwa Großbritannien sind bereits einen größeren Schritt nach vorne gegangen, indem sie ganz gezielt ihre Bürger beim Design und Monitoring von staatlichen Vorhaben beteiligen.
Rogall-Grothe: Soziale Medien werden künftig eine immer wichtigere Rolle einnehmen. Die Verwaltung muss sich dieser Tatsache stellen. Was den Vergleich mit anderen Ländern betrifft, so gibt es hier sicherlich viele sinnvolle Entwicklungen. Von pauschalen Vergleichen nach dem Motto ‘die sind schon viel weiter’ halte ich aber nicht viel. Wir müssen da genau hinsehen. Zum Beispiel haben wir in Deutschland ein Verfahrensrecht mit echten Beteiligungsansprüchen, die weit über eine bloße Möglichkeit der Meinungsäußerung hinausgehen.
silicon.de: Anders gefragt: Wie beurteilen Sie nach der hitzigen Debatte um Stuttgart21 gerade mit Blick auf nationale Großprojekte die Chancen von Open Government? Wie also könnte man hier die Bürger in den Informationsfluss einbinden, so dass am Ende alle Beteiligten gleichermaßen profitieren – oder bleibt das ein allzu idealistischer Wunschtraum?
Rogall-Grothe: Einen sinnvollen Anwendungsbereich sehe ich dort, wo schnell und bequem Meinungen, Interessen und Vorschläge einer breiteren Öffentlichkeit abgefragt werden sollen. Das Internet bietet dafür eine ideale Plattform. Open Government trägt dazu bei, mehr Transparenz, Partizipation und Akzeptanz zu erreichen, es ist aber kein Allheilmittel. Demokratie lebt davon, dass sich Bürger für gesellschaftsrelevante Themen interessieren und einbringen. Sie lebt aber auch von der Bereitschaft, am Ende mit Entscheidungen zu leben, die in demokratisch legitimierten Verfahren zustande gekommenen sind.
silicon.de: Noch eine letzte Frage: Bis 2012 sollen laut Ihrer Aussage die Voraussetzungen für ein einheitliches Prozessmanagement in der Bundesverwaltung geschaffen sein. Wie könnten sowohl der Nutzer als auch die Verwaltung konkret davon profitieren, oder sind dies eher Entwicklungen hinter der großen öffentlichen Debatte, von denen der Steuerbürger am Ende kaum etwas haben wird?
Rogall-Grothe: Nein. Die Sensibilisierung für einheitliche, verwaltungsübergreifende Methoden im Prozessmanagement zielt nicht nur auf verwaltungsinterne Prozesse ab. Das Projekt P23R | Prozess-Daten-Beschleuniger hat sich etwa zum Ziel gesetzt, den Datenaustausch zwischen Unternehmen und Behörden zu verbessern. Grundlage dafür ist ein gemeinsames Verständnis über Prozesse und deren Dokumentation.
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