Die Robo-Resi und das kleine Radler
Es gibt Tage, da hofft man, dass man wirklich mal so alt wird, wie man sich fühlt. Rödeln von früh bis spät. Und das die ganze Woche. Auch am Feiertag. Man träumt ja schon von der IT.
Vielleicht geht ja doch noch ein Bier? – Im Kalender findet sich kein Eintrag, der dem entgegenstünde, auch kein Arzttermin.
Ach ja, der Kalender. Eine Web-App selbstverständlich. Wehmütig erinnert man sich an die Zeiten, als die einem noch zu jedem als privat markierten Eintrag Kondom-Reklame einblendeten.
Aber seit Google für 44,6 Milliarden Dollar diese bis dato völlig unbekannte Firma Cloud-Miner gekauft hat, können die die Zielgruppen für ihre Werbung wirklich ganz genau eingrenzen. Deswegen versucht niemand mehr, einem Illusionen vorzugaukeln, selbst die Reklame-Fritzen nicht. “What a trag it is getting old”, dröhnen die Stones von der zerkratzen Platte.
Aber der Rollator ist fein, ein autonom lernendes System. Ganz selbständig findet der den Weg zum Biergarten.
Die Kathi, die Kellnerin von früher, ist ja schon längst im Ruhestand. Frühverrentung in Folge von Rationalisierungsmaßnahmen im Service-Bereich hieß es damals. Kathi war eine eher unnahbare Schöne.
Ihre Nachfolgerin hingegen lässt alles mit sich machen. Resi wird sie gerufen, so wie es sich gehört in Bayern.
Ihr Busen hat die ideale Form eines kleinen, von Hand geschriebenen “s”, wie man es vor vielen Jahrzehnten noch in der Volksschule gelernt hat. Und wenn man ganz tief in ihr offenherziges Decolleté blickt, dann sieht man sehr Intimes. Das, was so eine wie die Resi halt ausmacht: “Made in Japan”, steht da geschrieben.
“Krüs Kott and welcome in se Biergarden”, knarrt Resi, “Sis Greeting is presented by se tourist-information-center of Munic”. – “Red net, bring mir’n Bier!”
Oh mei, so hätte man mal mit der Kathi reden sollen. Verdurstet wär’ man!
Die Resi hingegen stakst brav zum Bierholen auf ihren High Heels. Mit schwachem Augenlicht betrachtet, sieht sie ja auch wirklich sehr hübsch aus in ihrem weiß-blauen Minirock.
Im Jahr 2011 hat die EU das großangelegte Forschungsprojekt Robocom ausgeschrieben, um eine neue Generation von Service-Robotern zu entwickeln. Ganz dick dabei war damals die TU München.
Resi ist das erste Serienprodukt, das aus diesem Forschungsprojekt hervorgegangen ist. In allen Bavaria-Themenparks dieser Welt begrüßt sie einen jetzt mit: „Krüs Kott!“
Der Schreiber hat damals auch ganz euphorisch darüber berichtet. Aber jetzt ist er melancholisch. “Von der Wiege bis zur Bahre”, geht es ihm durch den Kopf, „”sind es eben 50 Jahre” (Hermann Hesse).
Doch! Das Gedächtnis funktioniert noch gut. Das liegt am Extended-Memory-Chip, der ihm neben der Hypophyse implantiert wurde, nicht dem Extended Memory aus den seligen DOS-Zeiten, versteht sich, sondern dem Bio-informatischen. – Ja, man müsste noch mal 50 sein.
Resi, schick dich!
Das Display am unteren Rand der Gleitsichtbrille blendet derweil die neusten Nachrichten ein: Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr feiert sein 30. Amtsjubiläum. Besonders stolz ist der darauf, dass es ihm gelungen ist, den direkten Zugriff der Ärzteschaft auf die Karte durchzusetzen. Der Begleittext für XMS-enablede Senioren erläutert, dass es sich dabei natürlich nicht um die längst gescheiterte Gesundheits-, sondern um die EC-Karte der Patienten handelt.
Die nächste Nachricht: Facebook hat die Enzo-App freigeschaltet. Der XMS-Text erklärt, dass das ein internet-basierter Elektroenzephalograf ist. Soziale Netzwerker müssen jetzt nicht mehr formulieren und tippen, womit sie sich bislang eh schon schwer taten. Sie können stattdessen – by default, versteht sich – ihre Gehirnströme freigeben.
Die Facebook-Aktie… Hier bricht der News-Stream ab: Das prächtige Bild von Resi nimmt die gesamte Brillendisplay-Oberfläche ein. Ein Dutzend Massen hat sie an ihren schwellenden Busen gepresst.
Aber das liegt wohl bloß daran, dass der Gerontologe sich wieder mal ins System eingeloggt hat. Es ist augmented Reality. “Do host”, knarzt Resi, “dei 0,2 angewärmtes Radler.” – Dem alten Mann bricht kalter Schweiß aus.
Und schweißgebadet erwacht er, nicht mehr gar so alt, aus seinem Albtraum und stürzt zu seinem PC: Kein Termin, der sich nicht verschieben ließe, steht im Kalender, einem, der selbstverständlich auf der lokalen Festplatte abgespeichert ist.
Es verspricht, ein herrlicher Tag zu werden. “This could be the last…” dröhnen die Stones von der Platte. – Ok, nutzen wir ihn, machen wir was draus!
Kalendereintrag, 24. Juni 2011: Leben! Ein Termin der allerhöchsten Priorität!