Wer noch auf ein quasi amtliches Testat gewartet hat, dass sich in der hippen deutschen Hauptstadt auch jenseits von einfallenden Touristenhorden etwas bewegt, der wird in der aktuellen September-Ausgabe der britischen Zeitschrift Wired fündig. Die Namen der am meisten gehandelten neuen Hoffnungsträger lauten: Soundcloud, wooga und ResearchGate.
Berlin, das ist laut Wired der “heiße Ort”, wo man sich als Gründer eines jungen Internetunternehmens heute ansiedeln sollte. Erweitert wird die internationale Unterstützergemeinde in den USA durch hochkarätige Medien wie den Nachrichtendienst CNN, der neidvoll auf das deutsche Wirtschaftswunder der Sparsamkeit und Exportstärke blickt.
Aber auch vor zehn Jahren gab es in der Hauptstadt bereits erfolgreiche IT- und Internetunternehmen für den Weltmarkt. So etwa die beiden Samwer-Brüder, die das Auktionshaus Alando gründeten und es kurze Zeit später an eBay verkauften.
Zu den erfolgreichen Internetideen der letzten Jahre gehören Unternehmen wie die Markencommunity Brands4Friends – oder auch zanox. Der Spezialist für Performance Advertising hat sich seit der Gründung im Jahr 2000 immerhin zum europäischen Marktführer entwickelt.
International sorgen fast 700 Mitarbeiter in 12 Ländern für ein Werbenetzwerk mit über 70 Millionen Transaktionen im vergangenen Jahr. Was bei der mittlerweile mehr als zehnjährigen Erfolgsgeschichte dem speziellen Berlin-Faktor zuzuschreiben ist, das beschreibt zanox-Vorstandsmitglied Christian Kleinsorge, bereits seit 2004 an Bord, so: “In den Anfangsjahren haben wir von dem Sonderstatus Berlins profitiert, einem attraktiven Standort mit riesigem Einzugsgebiet und wenig Konkurrenz am Arbeitsmarkt.”
Derzeit sind bei zanox alleine in Berlin 60 neue Stellen zu besetzen – darunter 26 im Technologie-Bereich. Doch das Unternehmen konkurriert mittlerweile mit vielen innovativen und gut finanzierten Start-ups. “Dennoch sind wir uns sicher, dass es für unseren Weg der Internationalisierung keinen besseren Standort gibt als Berlin”, sagt Kleinsorge. Die Stadt habe insbesondere international eine ungebrochene Anziehungskraft.
Kreatives Ambiente und niedrige Kosten locken
Angelockt werden die neuen Helden neben der allgemeinen Aufbruchstimmung durch die geringen Lebenshaltungskosten. “Es herrscht eine mutige Aufbruchsstimmung”, erklärt Unternehmenssprecherin Sina Kamala Kaufmann von wooga die Wahl des Standortes, einem Entwickler von Social Games.
Das Unternehmen wooga ist einer der neuen heißen Kandidaten aus der deutschen Startup-Metropole, die längst auf dem Radar der großen Kapitalgeber aus den USA oder Großbritannien angekommen sind. In Europa ist man heute schon die Nummer Eins. Innerhalb von nur zwei Jahren hat der Anfang 2009 in Berlin gegründete Spezialist für Social Gaming sich auf den zweiten Platz vorgearbeitet und liegt damit gleich hinter Marktführer Zynga.
Internationale Aushängeschilder geben die Richtung vor
Die wichtigste Nachricht aber lautet: Es werden nicht nur Ideen aus den USA kopiert und nachgeahmt, sondern es entstehen eigenständige Konzepte mit Charme. Zu den wichtigsten Vertretern aus Berlins kleinem Silicon Valley gehört ResearchGate. Das von drei Forschern aus Boston entwickelte Konzept strebt als soziales Netzwerk für Wissenschaftler nach einer weltweiten Führungsrolle.
ResearchGate ist alles andere als eine geistige Raubkopie. Es ist ein Aushängeschild der neuen Internationalität. Warum die Wahl ausgerechnet auf die deutsche Hauptstadt fiel, statt auf San Francisco, das definiert Geschäftsführer Ijad Madisch: “Berlin ist ein sehr internationaler Standort und auch für Mitarbeiter sehr attraktiv.”
Auch bei jungen Gründern in Skandinavien steht die Hauptstadt hoch im Kurs. Ein Beispiel ist Soundcloud, eine Plattform für Musiker und Fans. Soundcloud will sich als Sammelstelle in der musikalischen Kreativlandschaft etablieren, als “Youtube für die Audioszene”. Gegründet wurde das Unternehmen von den beiden Schweden Alexander Ljung und Eric Wahlforss.
Einheimische Szene professionalisiert sich
Was für Außenstehende im lokalen Gründerbiotop bis dato reichlich unrealistisch klang, das lässt sich mittlerweile durch hochkarätige Kooperationen und neue Deals erhärten. So kooperiert der Berliner Kapitalgeber Team Europe Ventures seit kurzem mit Hasso Plattner Ventures in Potsdam. Rund 20 Millionen Euro stehen für gemeinsame Online-Projekte bereit.
Mit dem Spiele- und Hardwareanbieter Hitfox ist neben bereits bekannten lokalen Größen wie der Social Advertising Plattform SponsorPay bereits das nächste illustre Unternehmen auf dem Vormarsch. Berlin könnte sich somit in den nächsten Jahren zu einem maßgeblichen Cluster für den IT-Sektor nicht nur in Europa weiter entwickeln.
Bis dahin aber sind noch einige handfeste Hindernisse aus dem Weg zu räumen. “Deutsche Universitäten haben noch viel nachzuholen, vor allem in der Unterstützung von Spin offs”, gibt Ijad Madisch von ResearchGate zu bedenken. Aber auch hier zeichnet sich bereits eine größere Eigendynamik ab. So hat Suchmaschinenkonzern Google vor kurzem in Berlin das Institut für Internet und Gesellschaft gegründet.
Die deutsche Metropole sei nicht nur die Hauptstadt des digitalen Deutschland, bestätigt denn auch Max Senges, der sich bei Google Policy um externe Kooperationen kümmert: Berlin locke zunehmend Unternehmer an, die das Internet mitgestalteten. “Start-ups wie Soundcloud, Wooga und Jovoto sind bereits jetzt sehr erfolgreich.”
Branchenbeobachter rechnen nicht nur damit, dass Google seinen Aktionsradius über das neue Forschungsinstitut hinaus intensiviert. Kaum zu übersehen ist, dass sich still und leise im Schatten der Hauptstadt auch das benachbarte Potsdam als feste Größe etabliert hat. Dort befindet sich nicht nur das Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik, sondern zahlreiche weitere Ausgründungen von Forschungs- und Entwicklerteams.
Der Großraum Potsdam-Berlin biete eben höchste Lebensqualität, in 30 Minuten sei man im Zentrum von Berlin, erläutert Alexander Swoboda, Chief Financial Officer beim IT-Dienstleister Facton. Das Potsdamer Unternehmen entwickelt professionelle Softwarelösungen zur Kostenoptimierung, insbesondere für namhafte Kunden aus der Industrie.
Und so schließt sich am Ende der Kreis zum mittlerweile reichlich überholten Klischee der “Arm-aber-Sexy-Region”. Immerhin engagiert sich in Berlin auch Open-Office-Gründer Marco Börries mit seiner Neugründung Number Four. Dabei handelt es sich um eine ERP-basierte Softwarelösung der Marke “SAP für Arme”.
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