Die Tram fährt zur Theresienwiese. Ist’s wieder soweit? grübelt man weiter.
Vielleicht wollen die Knechte der IT-Industrie, die derart ausgebeutet werden, dass sie nicht einmal etwas Gescheites zum Anziehen haben, sich ja zusammenrotten. So was Ähnliches gab’s schließlich schon einmal, am 7. November 1918, als nach einer Kundgebung auf der Theresienwiese die Revolution in Bayern ausbrach und Kurt Eisner Tags darauf den Freistaat ausrief.
Oder haben diese wie wilde Aufrührer ausschauenden Mannsbilder ihren Aufzug gar mit Bedacht gewählt, um “in dieser altehrwürdigen Verkleidung… die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen” (Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, New York, 1852, Kapitel 1).
Nix ist soweit. Schon ein Blick auf die ledernen Messertascherl belehrt einen eines Besseren. Dort stecken vorzugsweise Smartphones eines US-Herstellers, dessen deutsche Niederlassung sich in München befindet. Kein einziger Hirschfänger, der auch einem Revolutionär gute Dienste zu leisten vermöchte.
Nicht die Not lässt die Verkleideten frieren. Sie zittern aus stylishen Gründen. Und Weltgeschichte haben sie schon gar nicht im Sinn, bloß Bier. Nicht Novemberrevolution ist, sondern Oktoberfest. – Na, ja.
Und in Berlin? Dort war ja 1918 auch einiges los. Und heute laufen dort ebenfalls ein paar in altertümlicher Verkleidung herum und reden in “dieser erborgten Sprache” (Karl Marx, ibid.) davon, dass sie jetzt die Politik entern. Ob da vielleicht gerade Weltgeschichte gemacht wird?
Das möchte schon eher sein. Die Piraten sind nämlich ernstzunehmende Leute, eben weil sie ihre Gegner veräppeln.
Jene Gegner werfen Surfern, die sich ein paar Dateien aus dem Netz holen, Raub, also Gewalt, vor und bekämpfen sie in Schweden seit zehn Jahren mit einem Anti-Piracy-Büro. Die so der Seeräuberei Beschuldigten gründeten daraufhin ein Piracy-Büro und später die Piratenpartei.
So singt man den Verhältnissen “ihre eigene Melodie vor” (Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Paris, 1844, Einleitung). Und in Berlin beginnen diese Verhältnisse jetzt denn auch zu tanzen.
Diese Partei ist die einzige, die ihr Bundestagswahlprogramm von 2009 zu 100 Prozent umgesetzt hat, also den einen Punkt halt: “Löschen statt sperren!” Den hat ja die Regierung dann übernommen, angesichts von 2 Prozent damals für die Neulinge.
Das ist schon was. Und diese politischen Ausnahmeerscheinungen verkleiden sich wie Rotznasen für den Kinderfasching.
Bei der Wahl am vergangenen Sonntag haben die Piraten das Rudel der hauptstädtischen Alphatiere winseln lassen. Klaus Wowereit etwa. Der ist ausweislich der Berliner Morgenpost ein solches: “SPD schart sich um Alphatier Wowereit” (Morgenpost vom 24. Januar). Und jetzt sorgt er sich um die Mehrheit für seine Wunschkoalition.
Guido Westerwelle und Philipp Rösler. Die hat der Fernsehsender N24 so bezeichnet. Das wären dann seit dieser Woche wohl Alphatiere im Chihuahua-Format.
Überhaupt diese tierischen Verkleidungen! Larry Ellison und Larry Page wurden am Montag wegen Java vor Gericht zitiert. Nach dem, was man so liest, haben beide Spitzenmanager ebenfalls eine viehische Natur. So steht es jedenfalls in so seriösen Tageszeitungen wie dem österreichischen Standard und dem Schweizer Tagesanzeiger.
Das Kostüm des Alphatiers ist die albernste Mimikry, noch alberner als Lederhose und Augenklappe. Machtmenschen in rosa Business-Hemden, die chronisch Rollwägelchen hinter sich herziehen, machen einen auf Raubtier, bloß weil es vielleicht charakterliche Übereinstimmungen gibt.
Haltestelle Theresienwiese! Die Madeln – hiesige Bezeichnung für Frauen – bieten ja schon einen allerliebsten Anblick in ihren Dirndln. Gut, das ist auch eine Verkleidung. Aber in dem Fall ist einem das egal.
Vielleicht sollte man doch… auf eine Mass? Naa, lieber nicht. Die Wiesn ist ja mittlerweile ein Society-Event. Ein gesellschaftlicher Pflichttermin. Da gerät man leicht in schlechte Gesellschaft. In ein Rudel Alphatiere etwa, das als Sekundärverkleidung Lederhose und Dirndl angelegt hat.
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Messertascherl
Das Smartphone im Messertascherl leistet wahrscheinlich heutzutage qualitativ ähnliche, oder bessere Dienste, als seinerzeit der Hirschfänger ...