Mobile Betriebssysteme: Wer traut sich in die Arena?

Während in den vergangenen Jahren Apple große Player wie Nokia, Microsoft oder RIM in die Schranken verwiesen hat, wird der iPhone- und iPad-Hersteller in letzter Zeit massiv von Google angegriffen. Zwei große Ereignisse haben den Mobility-Markt in jüngster Zeit ernsthaft erschüttert und könnten die Positionen erneut verändern: Googles Übernahme von Motorola Mobility und HPs Ankündigung, die Produktion aller WebOS-Geräte einzustellen.

Wenn Google mit Motorola eigene Geräte produzieren wird, erhält Google direkten Zugriff auf mobile Endnutzer und ihre Nutzungsdaten – wie Apple dies heute bereits hat. Aber im Gegensatz zu Apple verdient Google sein Geld nicht primär mit Endgeräten, sondern mit Werbung. Mit eigenen Geräten könnte Google sein mobiles Werbegeschäft deutlich ausbauen und neue Geschäftsfelder erschließen, wie z.B. Mobile Payment.

Mit seinen Business-Apps, einer Suite webbasierter Office- und Collaboration-Tools, hat Google zudem die ersten Schritte in den Business-Markt unternommen. Mit vorkonfigurierten Business-Anwendungen auf Millionen von Google-Smartphones und Tablets könnte Google auch diesen Bereich weiter ausbauen. Bislang ist es für IT-Manager sehr schwierig, die Vielfalt der Android-basierten Geräte verschiedener Hersteller in heterogenen IT-Umgebungen zu verwalten (siehe auch: “Apple, Google oder Microsoft – Mobile Betriebssysteme im Vergleich”). Das allerdings könnte sich ändern, wenn sowohl die Hard- als auch die Software von Google selbst entwickelt wird.

Googles Schritt dürfte damit auch die anderen Android-Gerätehersteller wie HTC, LG, Samsung und Sony Ericcson aufhorchen lassen. Wie schon mein Kollege George Mironescu in seinem PAC-Blog-Post “Google acquires Motorola Mobility. What’s in it for the partner ecosystem?” betont, sind Patente ein wichtiger Bestandteil des Google-Deals (Motorola hat viele Tausend davon). Eine Stärkung des Google-Patent-Portfolios wird zwar auch den anderen Android-Herstellern nutzen. Doch wenn Google seine eigene Implementierung auf Motorola-Geräten als diejenige etabliert, die sich am besten mit allen Google-Diensten integrieren lässt, werden HTC, LG, Samsung & Co. das Nachsehen haben.

Werfen wir einen Blick auf das zweite Ereignis: HP kündigt an, keine Geräte mehr zu produzieren, die auf dem mobile Betriebssystem WebOS basieren. Dieses war als Teil der 1,2-Milliarden-Dollar-Übernahme von Palm vor nur 12 Monaten gekauft worden und ist unter anderem die Basis des HP TouchPad, das gerade im Juni eingeführt wurde.

“Unsere WebOS-Geräte haben nicht genug Zugkraft auf dem Consumer-Markt gewonnen”, sagte Ex-HP-Chef Leo Apotheker. Was wird also aus HPs Investitionen in WebOS und das TouchPad?

Es ist eher unwahrscheinlich, dass HP WebOS lizensieren wird, da dies eine Weiterentwicklung der Plattform und der damit verbundenen Ökosysteme erfordern würde. Wahrscheinlicher ist, dass HP WebOS zum Verkauf anbieten wird. Die zentrale Frage ist damit: Wer soll WebOS kaufen? Wird es überhaupt jemand wagen, in die Arena zu treten und den Kampf mit Apple und Google sowie Microsoft, Nokia und RIM aufzunehmen?

Gerüchte und potentielle Käufer

Seit HPs Ankündigung gibt es bereits gehörige Spekulationen. Eine Gruppe potenzieller webOS-Käufer sind die oben genannten Gerätehersteller wie HTC, LG oder Samsung, die nun nach einer Alternative zu Android suchen könnten. Es heißt, WebOS sei ein sehr fähiges Handy-Betriebssystem, in dem viel wertvolles geistiges Eigentum steckt. Technisch gesehen hätte WebOS das Potenzial, zu einem der dominierenden Betriebssysteme für Tablets zu werden. Und HP wird wahrscheinlich nicht viel Geld dafür verlangen. Es könnte also ein guter Deal für die Gerätehersteller sein und würde ihre Abhängigkeit von Android reduzieren.

Allerdings geht es im Markt für mobile Betriebssysteme längst nicht mehr nur um überlegene Technologie. Und es geht auch nicht mehr nur um anspruchsvolles Design und Usability, wie dies in den frühen Tagen des iPhones der Fall war. In der Mobile-OS-Schlacht dreht sich alles um das Ökosystem. Das Betriebssystem mit dem größten und wertvollsten Ökosystem für Anwendungen, Inhalte und Software mit einem entsprechenden Markenimage, wird in den nächsten Jahren der klare Gewinner sein. Und hier hinkt WebOS selbst hinter den Nachzüglern in der Mobile-Apps-Sphäre hinterher. Diesen Rückstand werden die genannten Geräte-Hersteller kaum wettmachen können. Gleiches gilt auch für andere potenzielle Käufergruppen wie den Chiphersteller Qualcomm oder Gerätehersteller mit Tablet-Ambitionen wie Dell oder Intel.

Zwei Riesen, die Google und Apple ernsthaft bedrohen könnten, wären Facebook und – mehr noch – Amazon. Derzeit brauchen beide Android- oder iOS-basierte Apps, um die Masse der mobilen Nutzer zu erreichen, und sind daher abhängig von Googles und Apples Wohlwollen. Insbesondere Facebook riskiert derzeit, den Kampf um Werbebudgets und Nutzerdaten im mobilen Bereich zu verlieren. Gekoppelt mit einem der verbleibenden Gerätehersteller könnten Facebook oder Amazon sofort nativ auf Millionen von Smartphones und Tablets vertreten sein. Amazon oder Facebook könnten auch die einzigen sein, die über die nötigen Ressourcen zum Aufbau des entsprechenden Ökosystems in einem angemessenen Zeitraum verfügen. Für Amazon wäre ein eigenes mobiles Betriebssystem sogar noch attraktiver als für Facebook, weil Amazon seinen Content direkt an die Geräte verkaufen und sie mit eigenen Service-Angeboten nahtlos integrieren könnte. Amazon wäre damit ein wahrscheinlicher Kandidat.

Eine weitere, ganz andere Gruppe von potenziellen WebOS-Käufern wären die Anbieter von Kommunikations-und Collaboration-Systemen. In diesem Bereich werden künftig Remote-Computing, Thin (mobile) Clients, virtuelle Desktops, Cloud-Anwendungen und integrierte IP-Telefonie die Entwicklung bestimmen. Wenn all dies auf einem geeigneten mobilen Betriebssystem zur Verfügung gestellt werden würde, das auch Unternehmensanforderungen in punkto Sicherheit und Geräte-Management erfüllt, könnte dies für IT-Manager sehr attraktiv sein. In diesem Bereich wäre auch der Aufbau eines riesigen Ökosystems weniger zentral, denn für Business-Anwender zählt weniger die Masse an Apps als ihr echter Mehrwert im Geschäftsleben.

Spekulationen über den Kauf von WebOS durch Avaya sind meiner Einschätzung nach eher unwahrscheinlich, da ein solcher Schritt Avaya vermutlich überfordern würde. Cisco wäre ein weiterer, wahrscheinlicherer Kandidat. Sein aktuelles Tablet-Gerät “Cius” läuft auf Android. Allerdings wollen Mitarbeiter im Zeitalter der Consumerization Geräte, die sowohl für den geschäftlichen als auch den privaten Einsatz attraktiv sind. Ein reiner Unternehmensfokus des Geräts und seines Ökosystems scheint auf lange Sicht nicht sehr viel versprechend.

Fazit

Eventuell wird einer der Player am Markt WebOS wegen der darin enthaltenen Patente kaufen. Für ein weiteres erfolgreiches mobiles Betriebssystem mit dem damit verbundenen Ökosystem ist zurzeit aber kaum Platz am Markt. Es erscheint damit eher unwahrscheinlich, dass eines der genannten Unternehmen in der nahen Zukunft Apples iOS oder Googles Android ernsthaft mit WebOS-Geräten bedrohen wird.

Doch im wilden Westen des Mobility-Markts, wo sich die Positionen der Marktakteure und deren Marktanteile rasant ändern, bleiben Prognosen immer spekulativ. Sowohl für Enterprise-Kunden als auch für Service- und Software-Anbieter ist es damit fundamental wichtig, unabhängig von einem bestimmten Betriebssystem zu bleiben. Offene, Middleware-basierte Lösungen, die das Management und die Unterstützung einer heterogenen Gerätelandschaft ermöglichen, sind hier der Schlüssel zur Vermeidung großer Fehlinvestitionen.

Silicon-Redaktion

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