Das Cruiser Bike ähnelt eher einem Easy-Rider-Motorrad als einem herkömmlichen Fahrrad. Doch gerade an der langen Fahrradgabel fällt auf, was das neue Bremssystem besonders macht: Weder schlängelt sich ein Bremskabel den Lenker hinunter, noch steht ein Bremsgriff für die Vorderbremse vom Lenker ab.
Um zu bremsen, muss der Fahrradfahrer den rechten Gummigriff am Lenker fest umgreifen. Je stärker er greift, desto stärker bremst die Scheibenbremse im Vorderrad. Möglich macht dies ein Zusammenspiel von Komponenten. Im Gummigriff ist ein Drucksensor integriert, der ab einem bestimmten Druck einen kleinen Sender aktiviert. Dieser sitzt in einem blauen Kunststoffkästchen, das ebenfalls an der Lenkstange befestigt ist. Seine Funksignale gehen an einen Empfänger am Ende der Radgabel. Dieser wiederum gibt das Signal an einen ‘Aktuator’ weiter, der es in eine mechanische Bewegung umsetzt, die letztendlich die Scheibenbremse greifen lässt.
Um die Ausfallssicherheit zu erhöhen, befinden sich in den Speichen des Hinterrades und an der Gabel des Vorderrades jeweils ein weiterer Sender. Sie fungieren als sogenannte Replikatoren, indem sie das Senden des Bremssignals wiederholen. Auf diese Weise soll sichergestellt sein, dass die entscheidende Funknachricht auch dann noch rechtzeitig ankommt, wenn die anderen Funkverbindungen zu langsam sind oder ausfallen. Die Informatiker haben herausgefunden, dass noch mehr Replikatoren nicht unbedingt mehr Sicherheit bieten. “Wenn es schlecht konfiguriert ist, können es auch ganz schnell drei aus fünf Bremsversuchen sein, die schiefgehen”, sagt Professor Holger Hermanns, der an der Saar-Uni den Lehrstuhl für Verlässliche Systeme und Software leitet und zusammen mit seiner Gruppe die drahtlose Fahrradbremse entwickelte.
Mit der aktuellen Ausstattung schafft es das Bike spätestens nach 250 Millisekunden zu bremsen, was bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h einem Reaktionsweg von zwei Metern entspricht. Dabei wollen es die Forscher jedoch nicht belassen. Hermanns: “Es ist jetzt nicht mehr schwer, ein Antiblockiersystem und Antischlupfregelung zu integrieren. Das ist schnell gemacht.” Nach ersten Gesprächen mit Herstellern sucht er jetzt ein Ingenieursbüro, das die drahtlose Fahrradbremse umsetzt.
Die Fahrradbremse stellt für die Forscher jedoch mehr als eine akademische Spielerei dar. “Drahtlose Netze funktionieren nie hundertprozentig, das ist technologisch bedingt”, sagt Hermanns. Dennoch gehe man zunehmend dazu über, Systeme drahtlos zu realisieren, die immer funktionieren müssen. “Pläne existieren zum Beispiel für den europäischen Zugverkehr.” Experimente mit Zügen und Flugzeugen seien jedoch viel zu aufwändig seien und könnten bei Fehlfunktion Menschen gefährden. Stattdessen könnten von den Saar-Informatikern entwickelte mathematische Methoden das Zusammenspiel der Komponenten überprüfen.
“Die Fahrradbremse bietet uns die Spielwiese, um diese Methoden für den Einsatz in weitaus komplexeren Systemen zu optimieren”, so Hermanns. Daher untersuchte seine Forschergruppe den Brems-Prototypen mit Rechenverfahren, die sonst bei Steuersystemen von Flugzeugen oder chemischen Fabriken zum Einsatz kommen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Bremse zu 99,999999999997 Prozent zuverlässig sei. “Das bedeutet, dass drei aus einer Billiarde Bremsversuchen fehlschlagen”, erklärt Hermanns. “Das ist nicht perfekt, aber dennoch akzeptabel.”
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