Wie kann man am Computer allein mit den Gedanken ein Gemälde schaffen? Ohne dabei Hände, Tastatur und Maus einzusetzen? Möglich wird das mit einer Gehirn-Computer-Schnittstelle. Der Maler trägt eine bademützenartige Kappe, die seine Gehirnströme misst und mit dem Computer verkabelt ist. Außerdem braucht er zwei Bildschirme: Auf einem sieht er die Leinwand, auf dem anderen eine Farb- und Formenpalette. Deren Symbole blinken immer wieder in einem bestimmten Muster auf.
Will der Maler nun zum Beispiel ein rotes Viereck auf die Leinwand bringen, muss er sich in der Palette auf das entsprechende Symbol konzentrieren. Der Computer erkennt seine Absicht und setzt sie um. Das Brain Painting gelingt mit einem ausgetüftelten Verfahren, das eine charakteristische Gehirnantwort auf spezielle Reize ausnutzt.
Brain Painting ist ein Nebenprodukt der wissenschaftlichen Arbeit von Andrea Kübler. Die Psychologie-Professorin arbeitet seit über 15 Jahren mit Gehirn-Computer-Schnittstellen. Als Doktorandin von Niels Birbaumer erlebte sie an der Uni Tübingen die Anfänge der Technik mit. Im Jahr 1996 war sie dabei, als erstmals ein gelähmter Patient einen Brief schreiben konnte, indem er mit seinen Gedanken einen Computer steuerte.
Küblers Team hat die Technik seitdem weiterentwickelt. Kern ihrer Arbeit ist es, mit Gehirn-Computer-Schnittstellen die Lebensqualität von Patienten zu verbessern, die an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) leiden. Bei dieser Krankheit sterben nach und nach die Nerven ab, die die Muskeln aktivieren. Das lähmt den Körper zusehends.
ALS-Patienten können irgendwann nicht mehr sprechen und ihre Muskeln kaum noch bewegen, Kommunikation ist ihnen dann so gut wie unmöglich. Doch mit der Unterstützung durch Gehirn-Computer-Schnittstellen können sie sich weiterhin äußern, selbst noch im so genannten Locked-In-Zustand. Das bedeutet, dass ein reger Geist in einem fast komplett bewegungsunfähigen Körper eingesperrt ist. An ALS erkranken allein in Deutschland jedes Jahr rund 800 Menschen.
Wie kam es dazu, dass Gehirn-Computer-Schnittstellen für die Malerei entdeckt wurden? Die Idee stammt von dem Künstler Adi Hoesle. Im Jahr 2006 wurde bei einem seiner Bekannten, dem Maler Jörg Immendorf, die Krankheit ALS diagnostiziert. Zur gleichen Zeit lernte Hoesle auch Kübler kennen. Gemeinsam trieben sie die Idee voran, eine Mal-Software für Gehirn-Computer-Schnittstellen zu entwickeln. Hoesles Ziel war es, Immendorf auch weiterhin eine kreative Tätigkeit zu ermöglichen. Doch soweit kam es nie, denn Immendorf starb 2007 an der Krankheit.
Hoesle allerdings begann dann selbst, mit Brain Painting zu arbeiten. Mit ihm und mit Menschen mit ALS entwickelte Kübler die Mal-Software weiter. “Die Patienten haben es sehr genossen, sich auch kreativ ausdrücken zu können”, erzählt die Professorin. Unter anderem besuchten die Psychologen die an ALS erkrankte Schweizer Künstlerin Sonja Balmer in Bern: “Sie war völlig begeistert davon, wieder malen und sich in ihrer Kunst neu ausdrücken zu können.”
Spannend sei es, mit ihrer Arbeit Kunst und Wissenschaft zu verbinden, sagt Kübler. Besonders erwartungsvoll sieht sie derzeit einer Premiere entgegen: der Ausstellung Rostocker Synapse. Diese zeigt voraussichtlich ab März 2012 erstmals Werke, die durch Brain Painting entstanden sind. Organisiert wird die Ausstellung von Hoesle und der Kunsthalle Rostock, Küblers Team begleitet die Schau in wissenschaftlicher Hinsicht.
Die Rostocker Synapse wartet mit Besonderheiten auf: Während der Ausstellung sollen neue Brain-Painting-Bilder geschaffen werden – von Besuchern und Künstlern wie Neo Rauch, aber auch von einer Locked-In-Patientin. Die Entstehung der Bilder werden die Besucher in Rostock verfolgen können, parallel dazu auch im Ars Electronica Center in Linz (Österreich) und im Salon La Meduse in Quebec (Kanada).
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