Twitters Justitiar verteidigt die neue Löschstrategie. Bild: ZDNet

“Ab heute sind wir in der Lage, auf Verlangen hin Inhalte von Nutzern in einem bestimmten Land zurückzuhalten, während sie für den Rest der Welt verfügbar bleiben”, kündigte Twitter in einem Blogeintrag an. Das Unternehmen versicherte zugleich, die Nutzer klar über blockierte Inhalte und die Gründe dafür informieren zu wollen.

“Während wir international wachsen, gehen wir in Länder, die unterschiedliche Vorstellungen über die Grenzen der Meinungsfreiheit haben”, begründete Twitter den Schritt. “Einige weichen so sehr von unseren Vorstellungen ab, dass es uns dort nicht geben kann. Andere sind ähnlich, schränken aber aus historischen und kulturellen Gründen bestimmte Inhalte ein wie etwa Frankreich oder Deutschland, die nazistische Inhalte verbieten.”

Kritiker der Ankündigung stellten einen Zusammenhang mit der Investition von 300 Millionen Dollar des saudischen Prinzen Alwaleed in Twitter her. Andere unterstellten, Twitter strebe auf direktem Weg in den chinesischen Markt und unterwerfe sich dafür bereitwillig der staatlichen Zensur. Auch die Überschriften zahlreicher Medienberichte suggerieren lautstark Zensur oder Selbstzensur (“Twitter führt nationale Selbstzensur ein”).

Soviel Alarmismus hält Jillian C. York von der Electronic Frontier Foundation (EFF) nicht für angebracht. Blockierte Tweets müssten zwar klar Zensur genannt werden, aber auch Twitter stehe nicht über dem Gesetz. So gut wie jedes Unternehmen, das Inhalte von Nutzern bereitstellt, bekomme früher oder später mit gerichtlichen Anweisungen oder staatlichen Ersuchen zu tun, Inhalte zu entfernen. Sie könnten dem nur nachkommen, sonst riskierten sie, selbst vollständig blockiert zu werden. Gar keine andere Wahl mehr hätte ein Unternehmen, das eine Niederlassung im jeweiligen Land einrichtet. Tatsächlich hat Twitter das in Deutschland vor, wodurch seine neuen Mitarbeiter in Haftung genommen werden könnten.

“Am wichtigsten ist dabei Transparenz, was Twitter auch versprochen hat”, schreibt die EFF-Verantwortliche für internationale Meinungsfreiheit. “Google ist transparent, was seine entfernten Inhalte angeht. Facebook eher nicht. Twitters Herangehensweise ist außerdem smart angesichts der Alternative weltweiter Zensur – zumal ein Nutzer anscheinend seinen Standort manuell ändern kann.”

Laut Twitters europäischer Pressesprecherin Rachel Bremer erfolgt die Filterung nach der Länderangabe, die Nutzer in ihren eigenen Kontoeinstellungen machen. Nach einer Supportseite von Twitter bestimmt es das Land jedoch zunächst ausgehend von der IP-Adresse. Das wäre ebenfalls leicht zu umgehen mit “Stealthy”, einer Erweiterung für Chrome und Firefox. Mit ihr lässt sich die eigene IP-Adresse verschleiern oder vortäuschen, man sei in einem anderen Land. Damit lassen sich etwa auch YouTube-Videos abspielen, die in Deutschland nicht verfügbar sind, weil sie auf Betreiben von GEMA und Musikindustrie gesperrt wurden.

Nach eigenen Angaben erhielt Twitter bislang vor allem Löschungsaufforderungen von Medienfirmen unter Berufung auf den Digital Millenium Copyright Act (DMCA). Twitter verspricht, betroffene Nutzer zu informieren, damit sie sich gegebenenfalls gegen die Ansprüche wehren können. Zu Befürchtungen über eine Webzensur durch repressive Regime erklärte Twitters Chefjustiziar Alex Macgillivray per Tweet, “das ist einer der Gründe, warum Transparenz entscheidend ist. Seht regelmäßig bei chillingeffects.org/twitter/ nach und lasst uns wissen, wenn ihr glaubt, dass wir in die falsche Richtung gehen.”

Mit Chilling Effects, das gemeinsam von der EFF und mehreren US-Universitäten betrieben wird, arbeitet auch Google zusammen und weist bei entfernten Suchergebnissen regelmäßig auf dort auffindbare Hintergrundinformationen hin: “Aus Rechtsgründen hat Google 1 Ergebnis(se) von dieser Seite entfernt. Weitere Informationen über diese Rechtsgründe finden Sie unter ChillingEffects.org.”

Silicon-Redaktion

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